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100.000 für die Einheit der Opposition

■ Massendemonstration in Seoul für eine Einigung der beiden Kims in letzter Minute / Unabhängiger Präsidentschaftskandidat und Dissident Teak Ki–Hwan führt Kampagne an / Bis Dienstag sollen sich die Kims erklären

Aus Seoul Nina Boschmann

„Haut bloß ab, das regeln die schon alleine“ sagt ein verschmitzter Diktator Chon Doe Hwan in einer jüngst veröffentlichten Karikatur zu einem zufrieden dreinschauenden Roo Tae Woo, seines Zeichens General und Kandidat der Regierungspartei. Daneben, ineinander verknäult und sich zerfleischend, die damals drei Kandidaten der Opposition. Inzwischen sind es noch ein paar mehr, doch am Grunddilemma der südkoreanischen Volksbewegung hat sich wenig geändert: Knapp zehn Tage vor dem ersten freien Präsidentschaftswahlen seit 16 Jahren riskiert die Opposition einen erneuten Triumph des Militärs in Gestalt von General Roo, da die beiden renommiertesten Politiker des bürgerlichen Widerstands, Kim Dae Jong und Kim Young San, einander nicht den Vortritt lassen mögen. Die Demoskopen sagen ein Kopf–an–Kopf–Rennen mit ungewissem Ausgang voraus. Um ein derartiges Desaster zu verhindern, rief nun am Sonntag Präsidentschaftskandidat Nummer acht in vorletzter Minute zur ersten Großdemonstration für die Einheit auf. Und - oh Wunder - 100.000 - 150.000 kamen zusammen. Studenten und Arbeiter, Angestellte und Professoren mit Kind und Kegel, Fahnen und Trompeten. Dicht an dicht, soweit das Auge reicht, ließen sich mittags die Menschen auf der alten Universitätsstraße Tae Hakno nieder: Auf der Straße, auf den Bürgersteigen, in den Eingängen der Schulen, Cafes und Galerien, ja sogar die Bäume waren belagert, die Baumkronen besetzt. Und noch über Stunden kamen neue Delegationen von anderen Universitäten unter großem Junbel und Fahnenschwingen an. Der Kandidat gegen die Spaltung Denn: Teak Ki–Hwan ist ein Mann, den man zuhört: Der 54jährige Vizepräsident des großen Volksbündnisses Min Tognyon ist ein Idol für die Unterdrückten und die Radikalen, für Studenten wie Arbeiter. Er hat den größten Teil seines Lebens im Gefängnis gesessen und auch seit er wieder frei ist, zieht es ihn nicht in die große Politik. Kandidiert hat er überhaupt nur, so erklärt er, weil ihm das „nur Möglichkeiten bietet, die Anliegen des Volkes vorzutragen“, die in diesem Wahlkampf mal wieder zu kurz kommen; ein Kompromiß, auf den sich auch die Führer der Studentenproteste vom letzten Sommer einlassen können. Und so wird auch auf der Tae Hakno ein Held gefeiert, der das kandidieren nicht nötig hat, weil eh alle für ihn sind. „Ich bin nicht gekommen, um Stimmen zu fangen, sondern um zu kämpfen“ erklärt Taek mit rauher Stimme. Und sein gefurchtes Gesicht verrät, daß er das Kämpfen gewöhnt ist. Die Fotografen mußten als erste dran glauben: „Mein Innerstes könnt ihr eh nicht fotografieren“. Dann kommt er zur Sache: „Glaubt ihr wirklich, daß es ein Unterschied zwischen Chun und Roo gibt? Wollt ihr, daß der Inti mus dieses Glatzkopfes an die Macht kommt?“ „Nein, nieder mit der Diktatur“ kommt es zehntausendfach zurück. „Wenn der Schrei des Volkes nicht gehört wird ...“ „Die vielen Leute im Knast zeigen, wie weit es mit der Demokratie hier her ist. Soll es so weiter gehen?“ Taek ist ein begnadeter Redner, er zieht das Publikum in seinen Bann. Das Frage und Antwortspiel geht weiter. „Hört gut zu, ihr Kims, sonst ist meine Wahlkampagne verschwendetes Geld. Ihr habt euer Versprechen gebrochen. Nun, ich bin jünger als ihr, ich will euch nicht kritisieren, aber wenn der Schrei des Volkes nicht gehört wird, wird euch das noch einmal reuen. Wenn ihr es schafft, euch zu einigen, mache ich eine Verbeugung und ziehe meine Kandidatur zurück. Bis Dienstag habt ihr Zeit!“ - „Der Kandidat des Volkes, der Kandidat des Volkes“, kommt es zurück. Arm in Arm mit der „Hexe“ Protestlieder werden gesungen, die Menge tobt und sie tobt noch mehr, als wenige Minuten darauf bei Einbrechen der Dunkelheit die Tänzerin und Sportprofessorin Rhee Ae–Zoo zur Bekräftigung seines Anliegens im bodenlangen weißen Kleid einen leidenschaftlich–dämonischen Ausdruckstanz zu Trommelmusik aufs Betonparkett bringt. Sie ist in der Taek– Kampagne berühmt geworden und hat seine Kampagne auch sinnlich jedem in Fleisch und Blut übergehen lassen, der sie gesehen hat. Eine Hexe sei sie, schimpft die Regierung, und so tanzt die Hexe denn Arm in Arm mit Taek die Straße hinunter, über das Univiertel hinaus in die Innenstadt bis vor die City Hall. Hunderttausende folgen ihr mit Fakeln und Liedern und zum ersten Mal seit langer Zeit trägt die Polizei keine Tränengasmasken. Ob die Kims dem Ruf des Volkes folgen?

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