Die 2. Entspannungsperiode

■ György Konrad zu den Erfahrungen der letzten Jahre

Mit der Unterschrift unter die Abrüstungsverträge für Mittelstreckenraketen am 8. Dezember 1987 beginnt die 2. Entspannungsperiode auch formal. Die erste Phase der Entspannungspolitik endete 1979 mit der Invasion in Afghanistan. Außerdem gab es noch vier weitere Tatsachen, die in der zweite Hälfte der 70er Jahre den Westen alarmierten: die Stationierung der SS 20, der wachsende sowjetische Einfluß in Afrika, der Militärputsch in Polen und die Verfolgung autonomer Kritik durch die Polizei innerhalb des sowjetischen Machtbereichs im Allgemeinen. Allesamt waren es Demonstrationen einer eindrucksvollen Militärmacht, doch ohne politischen Sex–Appeal, da ihre Propagandisten sich gleichzeitig nicht auf entsprechende Aktionen seitens der westlichen Militärs beziehen konnten. Die sowjetischen Militärs hatten die Möglichkeiten der Militärpolitik überschätzt. Ein Jahrzehnt Praxis hat die Sinnlosigkeit dieser Aktionen bewiesen. Anzeichen der Revision, einer Wende in der strategischen Option, wurden sichtbar. Die Region wurde von der allgemeinen Wirtschaftskrise eingeholt. Die zentralisierte Planwirtschaft konnte den Schritt in die 3. Industrielle Revolution nicht vollziehen. Ihr fehlen moderne, auf dem Weltmarkt konkurenzfähige Industrieprodukte, der niedrige, aber stabile Lebensstandard wird ständig durch Inflation bedroht. Die Krise im sowjetischen Machtbereich ist dadurch entstanden, daß die zivile Politik durch die Militärpolitik und den Polizeistaat völlig in den Hintergrund gedrängt wurde. Der Krisenmanager Gorbatschow und die modernere Elite, die sich um ihn schart, scheinen zu begreifen, daß ein strategischer Paradigmenwechsel notwendig geworden ist. Der Paradigmenwechsel ist aber außerordentlich schwierig, denn er kann auch zum Kollaps und zu einer militärisch–polizeistaatlichen Gegenreform führen. Das Krisengebiet der Region ist der östliche Teil Mitteleuropas. Erneute militärische Niederwerfung und die Lähmung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse würden die neue, fragile Entspannung untergraben. Es ist im übrigen hier nicht meine Sache zusammenzufassen, was sich in der Zwischenzeit in Westeuropa ereignete. Die Entspannung kann sich nur dann zum Frieden konsolidieren, wenn die Abrüstungsverhandlungen sich vertiefen - zu politischen Friedensverhandlungen werden. Westeuropas Arbeitshypothese ist die Stabilität Osteuropas. Erweist sich diese Arbeitshypothese als Illusion - wofür bedenklich viel spricht -, dann wird sich vielleicht die Unzulänglichkeit einer mit Abrüstungsverhandlungen geschönten Status–quo–Politik eindeutig zeigen. Es gibt ein neues Prinzip, das Hoffnung weckt: Beide Seiten rüsten solange ab, wie sie Überpotentiale in einzelnen Waffengattungen haben. Ernsthafte Verhandlungen über konventionelle Rüstung können getrennt von den politischen Fragen der Teilung Europas und dem Abbau der sogenannten Jalta– Struktur kaum geführt werden. Vertrauen wir darauf, daß die an der neuen Entspannung Mitwirkenden, mindestens um die Erfahrung eines Jahrzehnts reicher, klüger sein werden, als die Mitwirkenden an der ersten Entspannungsperiode gewesen sind.