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Ein nobeler Preis für Alternative

■ Heute wird der von Jacob von Uexküll gestiftete „Alternativnobelpreis“ in Stockholm vergeben / Einer von drei Preisträgern ist der deutsche Physiker Hans Peter Dürr

Vor acht Jahren der schwedische Journalist Jacob von Uexküll (38) erstmals den von ihm gestifteten Preis für „Richtige Lebensweise“ (Right Livelihood Award) vergeben. Der Preis ist mit 140.000 DM dotiert. Vergeben wird der Preis an Einzelpersonen und Gruppen, die an praktischen Lösungen für die dringensten Probleme unserer Zeit arbeiten. Das sind in diesem Jahr das „Global Challenges Network“ des deutschen Atomphysikers Hans Peter Dürr, die Chipko– Bewegung aus dem indischen Himalaya, die zur wictigsten Ökologiebewegung des Subkontinents wurde, und die amerikanische Publizistin Francis Moore Lappe, die mit ihrer Arbeit über die Ursachen des Hungers die konventionellen Erklärungsmodelle über den Haufen geworfen hat.

„Viele Naturwissenschaftler sind sich der prinzipiellen Beschränkung ihrer Wirklichkeitserfassung nicht bewußt oder halten für irrelevant, was prinzipiell nicht wissenschaftlich erfaßt werden kann“ - viele gewiß, aber nicht alle: Hans Peter Dürr, der diese Zeilen schrieb, gehört zu den Wissenschaftlern, die Bescheidenheit gegenüber der Natur noch mit ihrem Berufsethos vereinbaren können. Wenn er für die Gründung des „Global Challenges Network“, einer Vereinigung von Wissenschaftlern und Initiativgruppen, heute den Uexküll–Preis überreicht bekommt, so nicht zuletzt deswegen, weil Dürr über der Beschäftigung mit dem Kleinsten nicht den Blick auf das Ganze aus den Augen verlor. Hans Peter Dürr ist Atomphysiker. Nicht wenigen ist dies bereits verdächtig, zumal wenn sie erfahren, daß sein „Doktorvater“ Edward Teller auch der Vater der amerikanischen Wasserstoffbombe ist. Es war eine Musterkarriere, die Dürr aus dem nazitümelnden schwäbischen Elternhaus nach Berkeley, dann an das Max–Planck–Institut zu Werner Heisenberg nach München brachte. Doch irgendwann gab es einen Quantensprung in seiner Biographie, eine kaum wahrnehmbare Erschütterung, einen dieser Vorzeichenwechsel, die allem einen ganz anderen Sinn geben. Vielleicht war es die Begegnung mit der jüdischen Philosophin Hannah Arendt in Berkeley, gleich nach Kriegsende: „Sie hat versucht, den Amerikanern klar zu machen, daß die Deutschen keine Kriminellen waren; wie ganz normale Menschen eigentlich dazu kommen konnten. Das war für mich interessant, weil ich zum ersten Mal mich selbst entdecken konnte in den Deutschen, die sie geschildert hatte. Das hat meine Haltung vollkommen verändert“, sagt er in einem Gespräch mit Wolfgang Bergmann. Vielleicht kam die Erschütterung aber auch ganz woanders her, aus dem Herzen der Materie, oder besser: der Nicht–Materie, seinem speziellen Forschungsgebiet. Dürr arbeitet in einem Gebiet der theoretischen Physik, das sich mit den kleinsten Bausteinen der Welt beschäftigt: er ist auf der Suche nach einer „fundamentalen Theorie der Elementarteilchen“. Das hat nichts mit einer alles–erklärenden „Weltformel“ zu tun. Dürr ist kein Faust, eher ein Mephisto, der weiß, daß stets das Schlechte schafft, wer das Gute sucht, bzw. daß derjenige, der nach einer Formel für die Welt sucht, auf das Chaos stoßen wird. Heisenbergs Quantentheorie hatte gezeigt, daß auch in der Physik die Fragestellung des Forschers sein Ergebnis vorherbestimmen kann. Gerade im subatomaren Bereich, in der Welt der Elektronen und Protonen, lassen sich Objektivität und Subjektivität nicht trennen. Je tiefgründiger geforscht wird, je mehr man sich den letzten Fragen zu nähern sucht, desto zufälliger und beliebiger werden die Antworten. „Das Naturgeschehen ist dadurch kein mechanistisches Uhrwerk mehr, sondern gewinnt den Charakter einer fortwährenden Entfaltung. Die Welt ereignet sich in jedem Augenblick neu.“ Manch anderen hätte dies Ende der wissenschaftlichen Zuversicht wie schon den Doktor Faustus in Resignation oder umso blindere Wissenschaftsgläubigkeit getrieben. Dürr dagegen gelingt der Sprung von der mikroskopischen zur makroskopischen Ebene: Wenn die kleinsten Teilchen nicht determiniert sind, also frei, weshalb dann an der Welt verzweifeln? Wenn schon die Materie sich selbst organisiert und kleinste Anstöße größte Effekte haben können, weshalb dann nicht selbst Netze schaffen, Ideen entwickeln und für Unruhe sorgen? Dürr, mittlerweile zum Direktor des renommierten Münchner Werner–Heisenberg–Institits für Physik avanciert, spricht sich gegen einen naiven Glauben an die Atomenergie aus. Mit dem Biologen Frederic Vester und Prof. Bölkow gründet er einen „Deutschen Energieverein“, der ein Gegenstück zur Atomlobby bilden soll. Beim Bölkow–Konzern setzt er sich nicht nur für deren solare Forschungspläne ein, sondern auch für die Entwicklung defensiver Waffen und wird führendes Mitglied der „Wissenschaftler gegen den Atomkrieg“. 1983 wird Dürr Mitglied der „Pugwash–Konferenz“ (ein jährliches Treffen von Wissenschaftlern aus Ost und West, die Pläne zur Abrüstung erarbeiten), zwei Jahre darauf Vorstandsmitglied von Greenpeace. 1987 dann gründet Dürr sein eigenes Netzwerk, das „Global Challenges Network“. Auch hier war der Krieg Vater des Gedankens: „Es schien mir absurd, daß im Zusammenhang mit der SDI–Forschung von dem zivilen Nutzen, den das Projekt auch abwerfen würde, gesprochen wurde. Weshalb dieser Umweg? Weshalb nicht die Energien direkt auf die Bedrohungen richten, von denen alle Seiten betroffen sind?“ Alexander Smoltczyk

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