: Durch eigene Initiative verändern
„Bäume sind unser Leben“, sagen die Frauen der Chipko–Bewegung im nordindischen Himalaya, und sie haben bewiesen, daß sie zur Erhaltung der Bäume bereit sind, ihr Leben zu geben. Jetzt wird diese inzwischen wohl wirksamste indische Umweltschutzbewegung ausgezeichnet. 1974 hinderten Frauen aus der abgelegenen Uttarkland–Region des Bundesstaates Uttar Pradesh Holzfäller daran, auch noch das letzte Stück Eichenwald in der Umgebung ihrer Ortschaft Reni zu roden. Mit dem Lied „Der Wald ist die Heimstätte unserer Mutter, mit all unserer Kraft werden wir ihn schützen“ zogen sie damals zu dem Waldstück, das in einiger Entfernung an einem ansonsten kahlen, steilen Abhang zu sehen ist. Schützend stellten sie sich vor die Bäume, klammerten sich an sie und gaben damit der Bewegung ihren Namen - „chipko“ heißt „umklammern“. Mit ihrem Widerstand reagierten die Frauen von Reni auf die fortschreitende Abholzung im Himalaya. Jahrelang hatten die staatliche Forstbehörde und private Holzunternehmer gemeinsam Raubbau betrieben an den einst dichten Wäldern aus Esche und Eiche, Maulbeerbäumen und Rhododendron, Pungar und Kurai, bis nur noch kahle Hänge übrigblieben. Die Folgen waren Bodenerosion und Erdrutsche. Ohne die schützende Vegetationsdecke verwandelten die heftigen Monsumniederschläge die Gebirgsflüsse in reißende Ströme, die Tod und Vernichtung brachten. Mit ihren Aktionen gelang es den Frauen, die indische Öffentlichkeit auf die drohende ökologische Katastrophe im Himalaya aufmerksam zu machen. Sie wurden zum Vorbild für ähnliche Gruppen in anderen Teilen des Landes. Schließlich sah sich die Landesregierung gezwungen, Beschränkungen für die Abholzung zu erlassen. Die Chipko–Bewegung ist im Westen vor allem bekannt geworden durch Sunderland Bahuguna. Der Gandhianer mit dem langen, weißen Bart aus dem Tehri–Distrikt am Fuß des Himalaya, nördlich der indischen Hauptstadt New Delhi, machte unter anderem durch einen nahezu 5.000 Kilometer langen Fußmarsch, bei dem er den Himalaya in seiner ganzen Länge von Osten nach Westen durchquerte, auf die ökologischen Probleme und Gefahren aufmerksam. Eher praktische Lösungen sucht dagegen Chandi Presad Bhatt. Er hat eine genossenschaftliche Organisation ins Leben gerufen, die Wiederaufforstungsmaßnahmen organisiert, die Bevölkerung für den Bau von Dämmen und Stützmauern gegen Erosion und Erdrutsche mobilisiert. Sie veranstaltet Sommerlager für Studenten und andere Städter, damit sie sich mit den ökologischen Problemen vertraut machen und bei der Wiederaufforstung helfen können. Die beiden Männer repräsentieren auch sehr unterschiedliche ökologische Auffassungen. Bahuguna vertritt eher eine radikalökologische Position. Für ihn steht die Erhaltung der Wälder im Vordergrund. Bhatt hingegen erstrebt eine von der Gemeinde kontrollierte wirtschaftliche Nutzung der Wälder, die einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation in den vom „Fort schritt“ bislang vergessenen Bergregionen bringen kann. Hunger - ein Mythos? Die bisherige Definition von Fortschritt in Frage zu stellen - darum geht es der dritten Preisträgerin des diesjährigen Alternativ–Nobelpreises, Frances Moore Lappe. Lange schien der Tatbestand klar: zuviele Menschen - zuwenig Nahrung; im Kopf–an– Kopf–Rennen zwischen Bevölkerungswachstum und Produktionssteigerung würde nur die Modernisierung der Landwirtschaft vor Hungerkatastrophen retten. Aus der Definition des Hungers als Kalorien– und Proteindefizit bezogen technokratische Entwicklungsprogramme ihre Legitimation, deren Folgen für Landlose, Kleinpächter und KleinbäuerInnen bis heute verheerend sind. „Die Art und Weise, wie die Leute über den Hunger denken, ist das größte Hindernis, ihn zu beenden“, kommentiert die US–Amerikanerin Frances Moore Lappe, die seit 18 Jahren hartnäckig nach den Ursachen des Hungers fragt, diese Situation. Mit ihren Publikationen hat sie entscheidend dazu beigetragen, daß heute monokausale Erklärungen der Ursachen des Hungers wie die oben erwähnten als falsch oder einseitig widerlegt sind. Hunger, so lautet ihre zentrale These, kann nicht einfach als Mangel an Nahrung beschrieben werden, sondern Hunger bedeutet, machtlos zusehen zu müssen, wie die eigenen Kinder an den Folgen der Mangelernährung sterben. Die Auflehnung gegen den Hunger durch soziale Organisation bedeutet immer häufiger Verschleppung oder Erschießung. Darum definiert Frances Morre Lappe Hunger als das äußerste Symbol für Machtlosigkeit und Mangel an Demokratie. „Warum Hunger?“ Diese Frage mit Scharfsinn zu recherchieren, sich mit keiner Antwort vorschnell zufriedenzugeben und das Ergebnis in sehr einprägsame Formulierungen zu fassen - das alles sind Eigenschaften, die das Energiebündel Frances Morre Lappe charakterisieren. Dazu kommen ihre starke persönliche Ausstrahlung und ihre Übezeugungskraft, die ihre Wurzeln wohl darin haben, daß sie auch in ihrem persönlichen Leben die Konsequenzen ihres Fragens auf sich nimmt. Für Frances Moore Lappe wurde die Welternährungskonferenz von 1974 mit ihren offiziellen Taktiken, der Diskussion über die Ursachen des Hungers auszuweichen, zu einem Wendepunkt. Sie beteiligte sich an der Gründung der „Radical Food People“, die mit eigenen Thesen in die Diskussion einzugreifen begannen. 1975 nahm Frances Moore Lappe die Einladung von Joseph Collins an, zusammen ein Buch zu verfassen, das auf allgemeinverständliche, umfassende Art die Ursachen des Hungers analysieren sollte. „Food First“ erschien 1977. Die Teamarbeit führte zur Gründung eines eigenen Instituts in San Francisco, von dem bis heute zahllose Impulse ausgegangen sind. Anne Marie Holenstein / Uwe Hoering Joseph Collins, Frances Moore Lappe „Vom Mythos des Hungers“, Fischer alternativ, 1980 Frances Moore Lappe, „Die Oeko–Diät“, Fischer alternativ, Band 4013
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