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Kreuzgang als Fluchtweg?

■ Die evangelische Kirche der DDR muß sich mit dem Staat und den Oppositionellen arrangieren / Kirche im Sozialismus oder gegen den Sozialismus? / Geschichte der Balance zwischen Freiräumen und Staatsräson / Das rasche Aufblühen der Basisbewegungen hat viele - konservative - Kirchenmitglieder überfordert

Von Brian Schuster

Wolf Biermann hat einmal gesagt, in der DDR gebe es drei Fluchtwege: über die Grenze, in den Selbstmord und in die Kirche. Der letztgenannte hat sich jedoch für viele kritische Menschen der DDR als einzige Möglichkeit für politisches Handeln herausgebildet. Heute gibt es in der DDR kaum kritische Liedermacher, Maler, Friedens– oder Öko–Aktivisten, die nicht die Freiräume nutzen, die ihnen das Dach der evangelischen Kirchen bietet. Die Kirche ist zu einem Sammelbecken für die Oppositionellen in der DDR geworden. Mehr oder weniger deutlich stellt sich die Kirchenleitung vor diese Gruppen. So sagte der Ost–Berliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe nach den Durchsuchungen und Verhaftungen der letzten Woche: „Die Umweltbibliothek (...) wird von einer kirchlichen Gruppe betrieben. Auf diesen Sachverhalt legen wir größten Wert. Ihre gesamte Tätigkeit wird von uns geschützt.“ Die evangelische Kirche ist mit 6,5 Millionen Mitgliedern die größte religiöse Gemeinschaft und die einzige, die sich als gesellschaftlicher Faktor versteht. Sie möchte Stellung beziehen. Dabei klagt sie gerne über die Schwierigkeiten, die sie in der DDR hat. In der Tat, Christen werden dort auch heute noch benachteiligt, wenn es zum Beispiel um die Vergabe von Studienplätzen oder Aufstiegsmöglichkeiten im Beruf geht. Doch in keinem anderen osteuropäischen Land hat die Kirche eine derart starke Position wie in der DDR. Kirche als Ventil Die Kirchen sind die einzigen nichtsozialistischen Großorganisationen der DDR, die zu einem erheblichen Teil ihre innere Autonomie bewahrt haben. In einem dauernden Balanceakt hat die Kirche ihre Rechte verteidigt oder ausgebaut. Die SED wiederum ist auf die Kirchen angewiesen als Seismograph für Bewegungen im Staate, als Sinnstifter für Fragen, die die „Blauen Bände“ nicht lösen können und natürlich auch als außenpolitische Trumpfkarte. Nicht ohne Selbstironie verlieh die Gruppe „Frieden und Menschenrechte“ im letzten Jahr das „Goldene Ventil“ (ein Preisträger war Pfarrer Eppelmann). Die Funktion der Kirche läßt sich die SED einiges kosten: Mit zwölf Millionen Mark jährlich unterstützt der Staat allein die evangelische Pfarrerbesoldung. Der Staat hilft bei der Organisation von Großveranstaltungen wie Kirchentagen und stellt Sendezeit im staatlichen Rundfunk zur Verfügung. Und er hat über die Genehmigung von Westreisen für Kirchenfunktionäre ein - häufig kritisierendes - Druckmittel in der Hand. „Die dürfen überall hinfahren, und uns lassen sie nicht einmal in die CSSR“, klagte auf dem letzten Kirchentag eine mit „Republikhaft“ belegte Besucherin. In den fünfziger und sechziger Jahren hatte es noch viele Restriktionen gegen die Kirchen gegeben. Die staatliche Jugendweihe sollte die Konfirmation verdrängen. Andererseits blieb der kirchliche Grundbesitz unangetastet, ebenso wie das kirchliche Arbeitsrecht. An den staatlichen Universitäten wird weiterhin der Pfarrernachwuchs ausgebildet. Kirche im Sozialismus Am 21. Juli 1958 respektierten Kirchenvertreter in einem Kommunique offiziell den laut Verfassung atheistischen Staat: „Ihrem Glauben entsprechend erfüllen Christen ihre staatsbürgerlichen Pflichten auf der Grundlage der Gesetzlichkeit. Sie respektieren die Entwicklung des Sozialismus...“ Das später von Altbischof Albrecht Schönherr geprägte Wort von der „Kirche im Sozialismus“ hat hier seine Wurzeln. 1960 fing Walter Ulbricht den Ball auf und erklärte: „Das Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus sind keine Gegensätze.“ Mit der in der Verfassung von 1968 festgelegten Religionsfreiheit schuf die SED einen weiteren Baustein für ihr Ziel, den Protestantismus als gesamtdeutschen Faktor auszuschalten: Der Weg zu einer eigenen DDR–Kirche war freigemacht. 1969 lösten sich die acht DDR–Landeskirchen von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und schlossen sich zum Bund der evangelischen Kirchen in der DDR zusammen. Daraufhin verzichtete die SED auf weitere Versuche, die Kirche zu „sozialisieren“. Fortan wollte auch die Kirche in „kritischer Solidarität“ zur DDR– Realität arbeiten. Die eigentliche Wende kam am 6. März 1978. In einem Gespräch mit Kirchenbundführern bestätigte Erich Honecker endgültig die Mitwirkungsrechte der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft. Dieses Abkommen führte zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Staat und Kirche, z.B. bei der Organisation des Lutherjahres 1983. Für die Zusammenarbeit ist der 1957 geschaffene Staatssekretär für Kirchenfragen zuständig. Amtsinhaber zur Zeit ist Klaus Gysi, dessen Sohn ein auch in der „Szene“ angesehener Anwalt ist. Das Abkommen von 1978 steckte die Freiräume der evangelischen Kirche ab, in denen sich bis heute eine Vielzahl von Basisinitiativen entwickeln konnten. Die Friedensgruppen Am Anfang dieses „Aufbruchs“ stand die Friedensbewegung. Friedensfragen waren schon immer Themen kleiner kirchlicher Kreise gewesen und die Kirche hat auch die „Bausoldaten“, die den Kriegsdienst mit der Waffe ablehnen, unterstützt. Vehement sprach sich die Kirchenleitung gegen die Einführung des Wehrunterrichts an den Schulen aus. Und nach dem NATO–Nachrüstungsbeschluß vom Dezember 1979 formierte sich die Friedensbewe gung nicht nur im Westen: Auch in der DDR organisierten sich plötzlich viele in kirchlichen Friedensgruppen. Die Aktionsformen sind natürlich andere als im Westen. Großdemonstrationen gibt es keine, denn darauf hat der Staat das Monopol. Deshalb äußert sich Engagement in individuellen, aber nicht privaten!, Aktionen. So wurden etwa „persönliche Friedensverträge“ zwischen DDR– und BRD–Bürgern abgeschlossen. Der Kerze kommt in der DDR als Symbol eine besondere Bedeutung zu. Am 1. September 1983 gab es eine Kerzendemonstration vor den Botschaften der USA und der UdSSR und auch bei den jüngsten Mahnwachen vor der Zionskirche wurden Kerzen in den Eingang gestellt. Dabei schaffte sich die Bewegung in der DDR ebenfalls eine eigene alternative Kirche, die ihren Ausdruck in oft selbstgefertigten Buttons, Postern und Postkarten finden. Viele der 82er Friedensaktivisten landeten im Gefängnis oder mußten die DDR zwangsweise verlassen. Doch schaffte es der Staat nicht, die Bewegung zu zerstören. Im Gegenteil: Sie weitete sich aus und diversifizierte sich. So kamen andere Themen hinzu: Umwelt, Menschenrechte, Frauen, Schwule oder Dritte Welt. So fand auf dem Kirchentag im Juni das Thema Ökologie noch stärkeres Interesse als der „Frieden“. Angst vor Graswurzeln Nichts scheint der DDR–Staat mehr zu fürchten als eine „Graswurzelbewegung“, Gruppen also, die nur schwer zu kontrollieren sind. Einreiseverbote für West–Grüne sind Ausdruck dieser Furcht. Doch in den letzten Jahren entstand in den Nischen des kirchlichen Raumes eine kleine Kultur hektographierter Blätter. Die kürzlich attackierten Umweltblätter oder Grenzfall sind dabei nur zwei von Dutzenden von Publikationen mit oft nur winzigen Auflagen, die sich im ganzen Land finden. Fast alle mit dem für West–Ohren ironisch klingenden Vermerk: „Nur zum innerkirchlichen Gebrauch“. Flügel streiten für den Frieden Doch neue Gruppen schufen für die Aktivisten auch neue Probleme. Obwohl zahlenmäßig klein, entstanden auch in den DDR–Gruppen zunehmend Richtungsstreitigkeiten. Ihren - vorläufigen - Höhepunkt erreichten sie, als sich Anfang Oktober eine Ost–Berliner Gruppe mit mehreren CDU–Bundestagsabgeordneten traf. Die dabei entdeckten „Gemeinsamkeiten“ der „DDR– Realos“ mit den NATO–Raketen– Befürwortern stießen auf starke Kritik bei den „Fundis“. Das rasche Aufblühen der Basisbewegungen hat viele der - konservativeren - Kirchenmitglieder überfordert. Sie vermissen bei vielen der neuen Aktivisten den christlichen Glauben und können sich nicht an Punks und Langhaarige in den Kirchen gewöhnen. Nicht alle haben deren Rolle so akzeptiert wie der Erfurter Probst Heiko Falcke, der ihnen die „notwendige Funktion der Hofnarren“ zubilligt, denn, „wenn die etablierte Ratio irrational wird, dann trägt die politische Vernunft die Narrenkappe“. Andere Kirchenführer machen sich eher für eine „Koalition der Vernunft“ mit dem Staat stark oder tun die Bewegungen als einen Generationskonflikt ab. Manche Kirchenkreise befürchten, daß die von ihnen mühsam erkämpften Freiräume ausgenutzt werden. Doch nicht zuletzt durch die organisatorische Meisterleistung beim „Kirchentag von Unten“ haben die Basis–Initiativen Eindruck gemacht und die Ernsthaftigkeit ihrer Anliegen unterstrichen. „Die waren ganz schön platt, daß wir das geschafft haben“, sagte einer der Aktivisten vom Juni. So hat der Staat mit seinen Aktionen gegen die Umweltbibliothek eines gewiß erreicht: Er hat die „Szene“ wieder einmal geeinigt, und er hat die Kirchenleitung dazu bewegt, wieder offensiv zu den kritischen Gruppen unter ihrem Dach zu stehen. Bei neuen Verhaftungen will sich Gottfried Forck, seines Zeichens Bischof von Berlin–Brandenburg, höchstpersönlich an Mahnwachen beteiligen.

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