piwik no script img

„Duisburg weiträumig umfahren“

■ In der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag sperrten Krupp–Arbeiter Rhein–Brücken und Straßen rund um Duisburg / IG Metall–Chef Steinkühler war trotz der Ankündigungen seiner Gewerkschaft nicht erschienen

Aus Duisburg Walter Jakobs

„Wir hoffen, daß morgen alles vorbei ist“, sagt der Mann, der soeben an Bord des Freizeitdampfers „Delphin“ Platz genommen hat. Er ist einer von hundert Kruppianern, die nach stundenlanger Blockade der Homberger Rheinbrücke gerade von den Kollegen der Frühschicht abgelöst werden. Eine zumindest öffentlich unsichtbare Organisation im Hintergrund hat für die Schiffspassage gesorgt, weil abzusehen war, daß Homberg im Duisburger Norden an diesem Tag entweder gar nicht oder nur sehr schwierig zu erreichen sein wird. Gestartet waren die Männer der Frühschicht im Hafen auf dem Krupp–Gelände in Rheinhausen. Weil um 7.30 Uhr der IGM–Vorsitzende Franz Steinkühler nicht auf einem leeren Platz vor Tor 1 reden wollte, blieben die Männer, die eigentlich schon viel eher ihre Kollegen der Nachtschicht auf den Brücken hätten ablösen sollen, am Werkstor - als Kulisse für den Vorsitzenden. Der Empfang fiel kühl aus und das lag nicht nur an den winterlichen Temperaturen. So mancher in der Krupp–Belegschaft hatte von Steinkühler einen vorzeitigeren Besuch erwartet, hat auf mehr Unterstützung vom Vorstand gehofft. Steinkühler versicherte zwar, die IGM werde „nicht akzeptieren, daß Rheinhausen dicht gemacht wird“, aber er vermied jede konkrete Unterstützungszusage. Auffallend war, daß Steinkühler entgegen der Ankündigungen seitens der IGM, sich am Donnerstag nicht aufmachte, um die blockierenden Kollegen direkt vor Ort zu besuchen. An nahegelegenen Blockadepunkten, die in der Nacht zwischen zwei und sechs Uhr in Beschlag genommen wurden, mangelte es nicht. Neben drei Rheinbrücken hatten die Stahlkocher und ihre UnterstützerInnen allein in Rheinhausen 16 Kreuzungen blockiert. Ohne Sonderausweis ging nichts mehr. Dennoch, zu den erwarteten Riesenstaus kam es an den Kontrollpunkten nicht. Die exakten Absprachen nutzte die Polizei, um den Verkehr weiträumig umzulenken. Viele Geschäftsleute hielten in Rheinhausen aus Solidarität ihre Rolläden verschlossen, Privatleute ließen den Wagen in der Garage. Andere verfielen auf alle möglichen Ausreden: „Ich bin Arzt. Ich muß durch“, lautete eine beliebte For mel, mit der Autofahrer Stahlarbeiter–Herzen zu erweichen trachteten. Die blieben in der Regel hart. Kurz nach fünf dann der erste Zwischenfall. An der Kreuzung „Stilling“ fuhr ein aufgebrachter Mann zwei Stahlarbeiter an und raste dann mit hoher Geschwindigkeit davon. „Gottseidank, nichts ernsthaftes passiert“, hieß es später in den Fluren des Betriebsratsgebäudes. Im Verlauf des Vormittags durchbrach dann ein LKW eine Sperre in Duisburg– Ruhrort. Auch hier kamen die Blockierer glimpflich davon. Und immer half die Polizei, die sich bei vergleichbaren Aktionen der Friedensbewegung fast regelmäßig für das Abräumen entschied oder nicht selten den Knüppel einsetzte, den Stahlkochern. Nur an der Grenze zwischen Duisburg und Krefeld machte die Polizei in der CDU–regierten Nachbarstadt Ärger. Kruppianer, die die Aus– und Zufahrten der A 57 dichtgemacht hatten, wurden auf Duisburger Gebiet zurückgedrängt. Der Verkehrsfunk des ARD– Nachtprogramms beschreibt die Blockaden stündlich so: Wegen einer Vielzahl „demonstrativer Aktionen“ werden die Autofahrer aufgefordert, Duisburg weiträumig zu umfahren. Erst als der WDR übernimmt, wird das Kind beim Namen genannt. Eigentlich sollte es in Duisburg am Donnerstag eine Radiopremiere besonderer Art geben. Mitten in der Nacht tauchten plötzlich ungewohnte Flugblätter auf: „Stahlwelle - Heute auf UKW 98,5 Mhz - Neueste Kruppstahl–Nachrichten ab sieben Uhr“. Allein, die Power reichte nicht. Der Piratensender kam nicht durch. Was an Äther–Unterstützung fehlte, glichen andere aus. Bauern blockierten mit ihren Traktoren Kreuzungen ebenso wie die Rheinhausener Fraueninitiative, während ein Flugzeug der örtlichen Fliegergemeinschaft mit dem Transparent - „Rheinhausen darf nicht sterben“ - am Himmel seine Kreise zog. Noch haben die Stahlarbeiter die Hoffnung, das Blatt wenden zu können. Am heutigen Freitag verhandelt der Betriebsrat erneut mit dem Vorstand. Auch wenn sich mancher die bange Frage stellt, wie man denn jetzt noch eine Schüppe drauflegen könne, wird es in der nächsten Woche - gesetzt den Fall, der Vorstand bleibt bei seinem Konzept - verstärkt weitergehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen