piwik no script img

Wahlfieber statt Prüfungsstress

„Kommt alle zur Versammlung, heute um 14 Uhr in der Sporthalle. Tragt euch in die Listen ein. Sagt es weiter.“ Die beiden Studenten, die mit der großen Flüstertüte zur Mittagszeit durch die Mensa der Sogang–Universität ziehen, sind Feuer und Flamme. „Liebe Kommilitonen“, schreibt ein anderer ganz cool mit rotem Filzschreiber auf ein großes weißes Plakat, „die Abschlußprüfungen des Englischkonversationskurses fallen morgen aus. Sie sind wegen der Wahlen auf den 8. Januar verschoben.“ An einem improvisierten Stand neben der Essensausgabe werden Berge von Anstecknadeln mit stilisierter blauroter Flamme abgesetzt, zehn Meter weiter eifrig Namen aufgeschrieben, und am Eingang gibts Flugblätter zum Nulltarif. Die Wände und Türen sind dicht an dicht mit Wahlplakaten beklebt, und an den hölzernen Eßtischen wird diskutiert, was das Zeug hält. Worüber? Natürlich über die Wahlen und wie man einen Sieg der Diktatur verhindern kann. Dabei ist die „Sogang“ keineswegs eine besonders politisierte Uni. Im Gegenteil, so klagt die „Sogang Students Organisation“ laut in der Hochschulzeitung, die Studenten seien kaum für die „Abschaffung undemokratischer Regelungen in den Fachbereichen“ zu mobilisieren. Doch in diesen Tagen herrscht Ausnahmezustand landauf landab. Ob in der braven „Seoul Yodae“, der renommierten „Seoul National“, oder der umkämpften Yonsei–Universität, der jesuitisch inspirierten „Sogang“ oder der buddhistischen „Dongguk“ machen die ProfessorenInnen die gleiche frustrierende Erfahrung: Es erscheint einfach keiner zu den wie stets für Anfang Dezember angesetzten Klausuren. „Frühestens nach Weihnachten“ werden sie beschieden, oder gar: „Könnten Sie nicht die Noten der Zwischenprüfung nehmen?“ Und - oh Wunder - die Empörung der PädagogInnen hält sich in Grenzen. So meint zum Beispiel Basil Price, Betriebswirtschaftsdozent in Sogang: „Wir haben ein bißchen Angst, daß die Studenten sich daran gewöhnen, denn nach dem Protestsommer ist das nun schon das zweite Semester, was man abschreiben muß. Aber im Grunde ist es keine schlechte Sache.“ Philippinisches Vorbild „Die Sache“ nämlich ist die „Kampagne für faire Wahlen“, die am 25. November samt dem blauroten Flammensymbol von kirchlichen und anderen außerparlamentarischen Protestgruppen ins Leben gerufen wurde, um den erwarteten Wahlbetrug der Regierungspartei auf ein Minimum zu beschränken. Leuchtendes Vorbild ist die berühmte philippinische NAMFREL (National Movement For Free Elections), deren entlarvende Beobachtungen im Februar 86 wesentlich zu Marcos Sturz beitrugen. Doch anders als auf den überwiegend katholischen Philippinen stellen in Korea nicht Priester, Nonnen und Mitglieder der Laienbewegung das Gros der Freiwilligen, sondern die Studenten der über 60 Hochschulen. Rund tausend haben sich allein an der Sorgang bei der „Kampagne“ eingeschrieben. 60.000 sollen es landesweit sein. Und rund doppelt so viele, 113.000, werden nach den Schätzungen des Hauptquartiers im sogenannten „Evangelen– Hochhaus“ am Wahltag schließlich auf der Matte stehen, um die über 13.000 Wahllokale zu bewachen. Gefährlicher Schneeballeffekt Doch schon in den Wochen davor laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Drei Tage lang werden die Freiwilligen - meist von Studenten– und Kirchenführern - auf ihren verantwortungsvollen Job vorbereitet. Und danach in ihre Heimatprovinzen geschickt. Zwischen dem 10. und 15. Dezember verteilen die lokalen Autoritäten die Wahlunterlagen an die Bürger, und da heißt es hinterherlaufen und aufpassen, daß nicht plötzlich Kleinkinder und Tote zu Geisterwählern erkoren oder andere mit drohendem Blick auf die Regierung eingeschworen werden. Am Wahltag selber geht es dann vor allem darum, den gefürchteten „Schneeballeffekt“ zu verhindern: Mit einem einzigen für die Regierung ausgefüllten Stimmzettel können sich nämlich unbegrenzt viele Stimmen für Roh Tae– woo kreieren lassen. Wie das? Der Regierungsagent mit dem gefälschten Votum macht sich unauffällig an einen Wähler heran, gibt ihm den Zettel und bietet ihm Geld, wenn er seinen eigenen leer mit rausnimmt. Der leere Zettel wird draußen für die Regierung ausgefüllt und das Spiel beginnt von neuem. Derlei Transaktionen, so vermutet die „Kampagne“, werden vor allem in den Kaffeehäusern und Billardsalons in der Nähe der Wahllokale abgewickelt, und das sind denn auch die Orte, wo die Freiwilligen Augen und Ohren spitzen und bei Bedarf die Kamera zücken werden. Zehntausend „überschüssige“ Wahlzettel, so die Gerüchteküche in Seoul, sollen schon im Umlauf sein. Parallel dazu raten die Oppositionsparteien finanzschwachen Wählern: Nehmt das Geld, aber macht den präparierten Zettel wenigstens in der Kabine ungültig. Wir werden siegen Wo Gut und Böse so eindeutig zu identifizieren sind, da lassen sich manche aktivieren, die normalerweise lieber büffeln würden. So sagt der Sogang–Student Chin– Hong: „Wir haben in unserem Englischkurs über die Kandidaten geredet. Jeder hatte natürlich unterschiedliche Präferenzen, aber für Roh war keiner.“ Seine Kommilitonin Mee–Sun, die in der Kampagne zum ersten Mal politisch aktiv ist, sieht das ähnlich: „Als Koreanerin will ich verhindern, daß Roh Präsident wird.“ Ihr Mitstreiter Wae–Kong ergänzt: „Wir machen mit, weil dies die entscheidende Wahl für die Demokratie ist.“ Wird die Bewegung ihr Ziel erreichen? Chae Ki Pyo vom zentralen Organisationskomitee ist mäßig optimistisch: im Gegensatz zur NAMFREL ist die „Kampagne“ offiziell nicht als Wahlbeobachter anerkannt, kann also an der Auszählung der Stimmen nicht teilnehmen. Das Mißtrauen gegenüber den Computern ist groß, und was im Militär läuft (siehe nebenstehenden Artikel), kann sie auch kaum beeinflussen. Aber: „30 Prozent der Betrügereien können wir wohl verhindern, und ich bin sicher, daß wir letztendlich siegen werden.“

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen