Seoul: Wahlsieg für Roh

■ Opposition nennt Ergebnis inakzeptabel / Verlierer sehen die beiden Kims vorne und Roh als Verlierer / Offiziell 36 Prozent für den Wahlsieger Roh Tae Woo

Aus Seoul Nina Boschmann

Der nächste Präsident Südkoreas wird wahrscheinlich Roh Tae Woo heißen, doch ob die Bürger seines Sieges froh werden, steht in den Sternen. Die betrogene Opposition schwankt zwischen Katzenjammer und Kampfgeist, und die Wahlbeobachter streiten sich, ob der Urnengang einigermaßen fair oder weitgehend betrügerisch war. Dieses ambivalente Bild ergab sich gestern, einen Tag nach den ersten freien Präsidentschaftswahlen seit 16 Jahren, in Seoul. Obschon das amtliche Endergebnis entgegen allgemeiner Er wartung auch am Donnerstag abend noch nicht vorlag, ließ sich der Kandidat der Regierungspartei und ehemalige Vier–Sterne– General Roh Tae Woo in den Morgenzeitungen als überwältigender Sieger feiern: „Über 40 Prozent für Roh, friedlicher Ablauf der Wahlen“, verkündeten die führenden Blätter unisono, während das Hauptquartier der „Bewegung für faire Wahlen“ noch emsig damit beschäftigt war, die zahlreichen, gemeldeten Betrugsmanöver zu verifizieren und zu dokumentieren. Bei Redaktionsschluß zeichnete sich folgender Trend ab: 36 Prozent für Roh, 27,4 für Kim Jung Sam und 26,4 für Kim Dae Jung. In den Zählungen der Opposition rangierte Kim Dae Jung dagegen mit 27,6 Prozent auf dem zweiten Platz vor Kim Jung Sam. Die bislang bekannten Zahlen zeigen eine extreme Polarisierung der Wählerschaft: Während der als Kompromißkandidat der Mittelklassen betrachtete Kim Jung Sam schlechter abschnitt als erwartet, errang Kim Dae Jung in seiner Heimatprovinz Tholla sowie der Stadt Kwangju über 90 Prozent. Reportage aus Seoul auf Seite 6