: Grundgesetz schützt Chemiewaffen
■ Lagerung und Transport von C–Waffen aus den USA ist mit dem Grundgesetz vereinbar, entschied das Bundesverfassungsgericht mit großer Mehrheit / Abweichende Meinung von Richter Mahrenholz
Aus Karlsruhe Rolf Gramm
Die Lagerung und der Transport chemischer Waffen der USA in der Bundesrepublik ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Diese Auffassung vertritt das Karlsruher Bundesverfassungsgericht in einem gestern veröffentlichten Beschluß. Die Richter wiesen damit zahlreiche Verfassungsbeschwerden von Giftgasgegnern zurück, die durch die C–Waffen vor allem ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt sahen. Lediglich einer der acht Juristen des Zweiten Senats, der Richter Mahrenholz, stimmte gegen den Beschluß, da die Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung eine wirksame Katastrophenschutzplanung unmöglich mache. Das Mehrheit der Richter ging im wesentlichen davon aus, daß die Lagerung des Giftgases „mit dem Ziel, einen möglichen Gegner von einem C–Waffen Einsatz abzuhalten, und ein etwaiger völkerrechtsgemäßer Zweiteinsatz dieser Waffen“ sich im Rahmen des dem NATO–Vertrag zugrundeliegenden Bündnisprogramms halte. Die im Bundesgebiet stationierten fremden Streitkräfte seien dadurch völkerrechtlich „hinsichtlich ihres hoheitlichen Verhaltens, in verfahrensrechtlicher Hinsicht der Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland entzogen“. Die Zustimmung des Bundestags zu diesen Abkommen sei verfassungsmäßig nicht zu beanstanden. Selbst einem etwaigen Einsatz des Giftgases kann nach Ansicht der Richter nicht prinzipiell das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit entgegengehalten werden. Denn mit der Entscheidung für eine militärische Landesverteidigung habe das Grundgesetz zu erkennen gegeben, daß dieses Grundrecht im Fall eines „völkerrechtsgemäßen Einsatzes von Waffen gegen den militärischen Gegner“ eingeschränkt sei. Gefahren für die eigene Zivilbevölkerung könne der Staat nicht ausschließen, wenn er Maßnahmen zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs ergreife. Für unzulässig hielten die Richter darüber hinaus die Beschwerden, daß die Bundesregierung für einen Abzug der C–Waffen hätte eintreten müssen, weil diese wegen ihres hohen Alters ein besonderes Gefahrenpotential darstellten. Die Kläger hätten keine konkrete Ge fährdung oder Schädigung der Bevölkerung durch die Giftgas–Lagerung benennen können. Mit dieser Argumentation wiesen die Richter auch die Beschwerden als unzulässig zurück, die sich für eine Offenlegung von Art und Menge der chemischen Kampfstoffe gegenüber den Katastrophenschutzstellen einsetzten. Insbesondere gegen diese strenge Geheimhaltung wendet sich der Verfassungsrichter Mahrenholz in seiner abweichenden Stellungnahme. Im Falle eines Giftgas– Unfalls, so argumentiert er, sei schnelle Hilfe nur möglich, wenn man dabei auf Grundkenntnisse deutscher Ärzte über die Art des Gases und die Möglichkeiten der Medikation aufbauen könne. Verzichte die Bundesregierung daher auf eine Initiative für die Katastrophenschutzplanung, verletze sie ihre Pflicht zum Schutz der Bevölkerung. Der rheinland–pfälzische DGB, der die Verfassungsbeschwerde mitbetrieben hatte, kritisierte, daß mit der Entscheidung „immer größere Löcher in die Verfassung geschlagen“ würden. Wenn die C–Waffen mit juristischen Mitteln nicht zu beseitigen seien, müsse jetzt verstärkt mit politischen Mitteln für den Abzug gekämpft werden. (AZ: 2 BvR 624/83, 2 BvR 1080/83, 2 BvR 2029/83)
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