piwik no script img

Das Zeitalter der Helden ist vorbei

■ Katerstimmung in Korea nach Wahlsieg Roh Tae–Woos / Die Opposition hat kein Konzept, der Volksaufstand findet nicht statt / Dissidentenpfarrer Park Hyung–Kyu macht das Beste daraus: „Immerhin haben wir jetzt eine Baby–Demokratie“

Aus Seoul Nina Boschmann

Pfarrer Park Hyung–Kyu ist von Berufs wegen Optimist. „Egal was passiert ist, wir kämpfen weiter“, begrüßt er die kleine Gemeinde, die sich auf dem Bürgersteig vor der Polizeistation von Chungbu im Zentrum von Seoul versammelt hat. „Und wenn uns kalt ist, müssen wir eben ein bißchen tanzen.“ Mit verschmitztem Lächeln unter der schwarzen Baskenmütze hopst der gut 60jährige im dicken Wintermantel von einem Bein aufs andere. „Halleluja“, singen die etwa 30 BesucherInnen dieses ungewöhnlichen Gottesdienstes beschwingt zur Trommelmusik. Auf dem Trottoir sind rotschwarze Höckerchen für die Gläubigen bereitgestellt worden; eine tragbare Miniorgel und eine handliche kleine Kanzel aus braunem Furnier vervollständigen die Kulisse. In den Bäumen am Straßenrand befestigte Lautsprecher lassen die fröhlichen Gesänge fast bis zur zehn Minuten entfernten Myongdong–Kathedrale erschallen, wo gerade die katholische Konkurrenz um Einlaß für die Mittagsmesse Schlange steht. Seit gut drei Jahren - genaugenommen seitdem seine Kirche 1984 von bewaffneten Banden überfallen wurde und die Polizei ihn im Stich ließ - hält Pfarrer Park Hyung–Kyu hier jeden Sonntag in Sichtweite der Ordnungshüter seine Predigt - und so sieht er nicht ein, warum er dies heute nicht tun sollte: nur weil die Opposition die Wahlen verloren hat und der Rest der Nation Trübsinn bläst? „Wir sollten dem lieben Gott danken, daß wir überhaupt die Mehrheit der Stimmen bekommen haben.“ Schließlich hat Regierungskandidat Roh - wie manipuliert auch immer - es nur auf 39 Prozent gebracht. Ein jüngst freigelassener politischer Gefangener wird mit lautem Klatschen begrüßt und auch ein paar Fäuste erscheinen aus den Tiefen der Manteltaschen. „Das Gebet, das jetzt folgt, soll uns die Kraft geben, weiter auf der richtigen Seite zu stehen.“ Aber welche ist das nur? „Die gefälschte Wahl ist wie ein neuer Coup d Etat“, hat der oppositionelle Verlierer Nr. 2, Kim Young Sam, geschäumt, und da wird ihm hier niemand widersprechen. Ein eindrucksvolles Beispiel hat jeder zur Hand, und dann dieser Polizeieinsatz in der Industriestadt Kuro, über den man immer noch nichts genaues weiß... Ein paar Blocks weiter schreien gerade 50 Studenten die ganze Ungerechtigkeit dieser Welt heraus: „Wir haben die Mehrheit, wieso haben wir nicht gewonnen?“ An den heruntergelassenen Rolläden der umliegenden Modeboutiquen und auf Stell wänden versuchen Wandzeitungen, die Gründe für die Niederlage herauszufinden. „Die unfaire TV– Berichterstattung des regierungskontrollierten Senders KBS, die Undurchsichtigkeit der Computerkalkulationen...“ „Aber“, so Park Hyung Kyu, „auch wir sind schuld, weil wir die beiden Kims nicht zur Einheit ge zwungen haben.“ Der Schaden ist angerichtet, die Aussichten finster. „Selbst wenn es gelingt, das Wahlergebnis anzufechten, was ist damit gewonnen, wenn die Kims sich nicht einig sind?“ Opposition ohne Konzept Tatsächlich, so scheint es auch noch eine halbe Woche nach der Wahl, haben sowohl die Parteien von Kim Dae Jung und Kim Young Sam als auch das außerparlamentarische Oppositionsbündnis NCD die Möglichkeit eines Roh– Sieges schlicht und einfach verdrängt. Ein Konzept für das weitere Vorgehen gab es nicht und gibt es nicht, jetzt werden die Wunden geleckt und die Eitelkeiten gepflegt. Es wird auf den Volksaufstand gewartet, doch der findet mangels Führung und Zukunftsperspektive nicht statt. Keine Stu dentendemonstration der letzten Tage hat es auf mehr als 5.000 TeilnehmerInnen gebracht, während im letzten Sommer täglich 100.000 auf die Straße gingen. Proteste gegen die Betrugsmanöver haben sich auf Seoul und einige Städte in Kim Dae Jungs Heimatprovinz Cholla beschränkt. Unregelmäßigkeiten hin, Vorfälle her, sagen da die Pazifikpolitiker im Weißen Haus, aber so viele können es dann ja wohl nicht gewesen sein. Die Beweislast liegt bei der Opposition, und sie ist ihr nicht gewachsen. Wer die Präsidentschaftswahlen vom 16. Dezember erfolgreich für „null und nichtig“ erklären will (so das offizielle Ziel eines neugegründeten Kampfkomitees), der muß über zwei Millionen gefälschte Stimmen Auskunft geben. Und wer darüber hinaus dafür Leute mobilisieren will, der muß vermutlich auch plausibel machen, an wen die Voten sonst gegangen wären. 26,5 und 27,5 Prozent haben die Regierungscomputer für Kim Dae Jung respektive Kim Young Sam ausgerechnet, rund 200.000 Stimmen Unterschied. Da mag natürlich keiner zurückstecken, und so verkünden nun beide Kims, daß sie demnächst „mit Massendemonstrationen ihr Recht durchsetzen“ werden. Bloß nicht zusammen, sagt vor allem Kim Young Sam. Wohlmeinende Kommentatoren empfehlen den beiden geschlagenen Kampfhähnen unterdessen, lieber angeln zu gehen oder sich aufzuhängen. Baby–Demokratie Was lernt das Volk aus derlei Malaise? Pfarrer Park empfiehlt Lukas 1,76–79. „Gott läßt sein Licht aufgehen über denen im Reich der Finsternis“, und so steht er auch jetzt auf Seiten der kleinen Leute, die das Wahlergebnis beweinen, die ihre letzten Groschen für den Wahlkampf gespendet haben, um die Diktatur wegzukriegen, und deren Kinder von Folter, Verhaftung und Tränengas betroffen waren. „Zwar sind wir nicht an die Macht gekommen, aber eine kleine Baby–Demokratie haben wir doch schon.“ Wenn das Volk sich ihrer annimmt, wie der Zacharias sich seines Sohnes bei Lukas 1 usw., so wird die Demokratie schon wachsen und die Staatsmacht verschwinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen