: Aufatmen für Kleindealer und Konsumenten
■ Fehler in der Rechtsprechung führte bundesweit zu Strafverschärfung für Haschischbesitz / Welle von Revisionsverfahren vor der Wende? / Erhöhter Strafrahmen für „nicht geringe Menge“ darf nicht angewandt werden / „Gesamt–THC“ von 37,5 g ist neue Grenze
Von Ernst Grothe
Hamburg (taz) - Verurteilte Kleindealer und Konsumenten von Haschisch können aufatmen. Ein Fehler bei der Wirkstoffbestimmung und der Grenzwertfestlegung der „nicht geringen Menge“ Cannabis hat bei einer Vielzahl von Verurteilungen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz auch zu einer fehlerhaften Strafzumessung geführt. Eine Welle von Revisionsverfahren könnte eine Wende nehmen. Wesentlich für die Strafzumessung bei kleinen Mengen bis hin zu vielen hundert Gramm Haschisch ist die Festlegung der „nicht geringen Menge“. Wer eine „nicht geringe Menge“ besitzt, muß nach Paragraph 29 Betäubungsmittelgesetz „in der Regel“ mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechnen, wer eine solche Menge einführt, mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren. Es kommt also entscheidend darauf an, bei wieviel Gramm diese Menge festgelegt wird. Schon eine geringe Verschiebung der Grenzmenge hat für die Bestrafung im Einzelfall große Auswirkungen. Es hat deshalb in der bundesrepublikanischen Justiz seit Einführung der „nicht geringen Menge“ 1971 erbitterte Schlachten und die Festlegung dieser Grenzmenge gegeben. Durch eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (3. Strafsenat, BGHSt 33, 8 ff.) vom 18. Juli 1984 ist die Grenzmenge auf 7,5 g reinen Cannabis–Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) festgelegt worden. Nunmehr haben die Chemiker der Kriminaltechnischen Untersuchungsanstalten der Polizei 1986 (veröffentlicht in der Monatszeitschrift Deutsches Recht 1986, 457) herausgefunden, daß beim Rauchen von Cannabis nicht nur das darin enthaltene THC Rauschwirkungen erzeugt, sondern daß sich unter der Hitzeeinwirkung die unwirksame Vorstufe Tetrahydrocannabinolcarbonsäure (THCA) in wirksames THC umwandelt. Daraufhin ist man flugs darangegangen, diese THCA einfach mitzurechnen und alles zusammen als „THC beim Rauchen“ zu bezeichnen. Dabei wurde argumentiert, daß das Rauchen ja die übliche Konsumgewohnheit sei und dabei die gesamte THC– Menge entstehe. Diese „Zusammenrechnung“ ist in einem Revisionsverfahren vom gleichen Senat, der die Grundsatzentscheidung fällte, für zulässig erklärt worden (Entscheidung vom 13.5.1987, nachzulesen im Strafverteidiger 1987, S. 391 f.). Nach dieser Entscheidung wird die Grenzmenge von 7,5 THC immer schon dann als erreicht angesehen, wenn THC und das umgewandelte THCA zusammen dieses Gewicht erreichen. In der Praxis bedeutet das eine enorme Strafverschärfung, denn jetzt liegt die Grenzmenge für das Jahr Freiheitsstrafe nicht erst bei 120 bis 150 Gramm Haschisch, sondern schon bei 25 bis 30 Gramm. Diese Rechnung ist aber absolut unzulässig. Bundesweit wurde übersehen, daß 15 mg Wirkstoff, wenn man THC und THCA zusammenrechnet, keine „Konsumeinheit“ (von denen man ja 500 haben darf, bevor man, nach BGH in den Verbrechensstrafrahmen kommen soll), sondern völlig wirkungslos sind. Die für die „Konsumeinheit“ ermittelten 15 mg THC bezogen sich ausschließlich auf die Konsumform „Rauchen“. Das bedeutet für alle Verfahren in Haschisch–Sachen, daß der erhöhte Strafrahmen für die „nicht geringe Menge“ nicht angewandt werden darf, wenn das umgewandelte THCA bei der Wirkstoffbestimmung mitgezählt worden ist. Ist es mitgerechnet worden, kann man verlangen, daß nicht bei 7,5 g THC abgegrenzt wird, sondern erst bei etwa 37,5 Gramm „Gesamt–THC“. Das wird für fast alle Verfahren, die mit einer Verurteilung endeten, zutreffen. Die Korrektur kann zu einer erheblichen Herabsetzung der Strafe führen, zumal der BGH in seiner Entscheidung vom Mai auch betont, daß die in seiner Grundsatzentscheidung aufgestellten Maßstäbe der Strafzumessung in vollem Umfang Bestand haben sollen. Als Betroffener hat man im übrigen gute Chancen, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu erreichen. Der Autor ist Richter am Landgericht Hamburg.
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