piwik no script img

Hungerhilfe für die Befreiungsbewegungen

■ Der Bundestag verabschiedete Resolution / Hungerhilfe an Bedingungen gebunden / Regime in Addis Abeba wird nicht mehr vorbehaltslos unterstützt

Der Hunger in Äthiopien macht wieder Schlagzeilen. Verschiedene Hilfsaktionen sind angelaufen. Internationale Organisationen versuchen durch rechtzeitige Lebensmittelhilfe die Bildung von Hungerlagern zu verhindern. Bei der letzten Hungerkatastrophe 1984/85 kamen Tausende in den Lagern durch Krankheiten wie Darminfektionen und Lungenentzündung ums Leben. Internationale Soforthilfe ist notwendig, um die Gefahr einer Hungerkatastrophe in Äthiopien zu bannen, die Frage ist nur in, welcher Form. 1984/85 arbeiteten die westlichen Hilfsorganisationen fast ausschließlich mit der „Relief and Rebabilation Commission“ zusammen, die der Regierung in Addis Abeba untersteht. Die Zentralregierung konnte frei über den Einsatz und die Verteilung der Hilfsgüter bestimmen, was zu Mißbrauch führte. So nutzte sie die Hilfslieferungen, um verstärkt gegen die verschiedenen Befreiungsbewegungen im Land vorzugehen und um ihre umstrittenen Regierungsprogramme wie Umsiedlung und Verdorfung durchzusetzen. Da die betroffenen Landesteile hauptsächlich in den von den Befreiungsbewegungen der Tigray und Eritreer verwalteten Gebieten liegen, konnte die Regierung den Hunger als Waffe einsetzen. Sie hungerte ganze Regionen aus, um die Bevölkerung aus diesen Gebieten herauszulocken und somit den Befreiungsbewegungen den Boden zu entziehen. Die gelieferten Nahrungsmittel dienten auch zur Rekrutierung von Soldaten für die äthiopische Armee. So wurde zum Beispiel die „Weizenmiliz“ aufgebaut, das heißt nur solche Familien erhielten Nahrungsmittelrationen, die Angehörige für diese Miliz abstellten. Äthiopien besitzt mit 300.000 Soldaten die größte Armee in Schwarzafrika. Ein Teil der Nahrungsmittel landete dort direkt oder indirekt. Mit der Begründung, sich einerseits nicht in die innenpolitischen Probleme des „Gastlandes“ einmischen zu können und andererseits auch Gefahr zu laufen, aus dem Land verwiesen zu werden, sahen die internationalen Hilfsorganisationen bisher tatenlos zu. Man will es mit den äthiopischen Militärs nicht verderben, denn vielleicht läßt sich die sozialistische Volksrepublik doch noch ins westliche Lager zurückziehen. Um so mehr erstaunt eine Resolution, die am 10. Dezember 1987 von allen Parteien befürwortet den Bundestag passierte. Darin werden die bundesrepublikanischen Hilfsleistungen für Äthiopien ausdrücklich an konkrete Bedingungen geknüpft. In der Resolution wird festgelegt: Die Nahrungsmittelhilfe darf nicht für militärische oder politische Zwecke genutzt werden, die Verteilung soll nicht nur über die äthiopische Regierung, sondern auch über Hilfsorganisationen der Befreiungsbewegungen durchgeführt werden, und die Nahrungsmittel sollen - „soweit vom Transportaufwand her und zeitlich vertretbar“ - auf den einheimischen Märkten der Überschußländer Afrikas eingekauft werden. Seit vielen Jahren liegt die Zentralregierung im bewaffneten Kampf mit den Befreiungsbewegungen der Eritreer, der Tigray und Oromo. Der Hauptgegner ist die Eritreische Volkbefreiungs front (EPLF) im Norden des Landes. Sie kämpft seit 26 Jahren um das Selbstbestimmungsrecht der Eritreer, das 1950 von der UNO garantiert wurde, aber nur zwei Jahre danach vom äthiopischen Kaiser wieder aufgehoben wurde. Die EPLF kontrolliert zur Zeit über 80 Prozent von Eritrea. Militärisch ist jedoch ein Patt eingetreten. Keine der Kriegsparteien kann den Konflikt militärisch für sich entscheiden. Gegner der Zentralregierung in den an Eritrea grenzenden Gebieten, den Provinzen Tigre und Teilen von Wollo und Gondar, ist die Tigre–Volksbefreiungsfront (TPLF). Genau wie die Omoro Liberation Front (OLF) kämpft sie für mehr Autonomie gegenüber der amharisch dominierten Zentralregierung. Die Oromo machen nach inoffiziellen Schätzungen über fünfzig Prozent der äthiopischen Bevölkerung aus und leben vorwiegend in Gebieten südlich von Addis Abeba. Sowohl EPLF als auch TPLF und OLf verfügen über eigene humantitäre Hilfsorganisationen. Da die Regierung keinen Zutritt zu den von ihnen kontrollierten Gebieten hat, kann eine wirksame Versorgung der Bevölkerung nur durch diese Organisationen geleistet werden. 660.000 Menschen wurden seit 1984 vom Norden in den Süden umgesiedelt. Diese Zwangsmaßnahmen, bei der Zehntausende den Tod fanden, wären ohne Unterstüztung internationaler Hilfswerke nicht möglich gewesen. Offizielles Ziel des Programms ist es, die Menschen vom ausgedörrten nördlichen Hochland in fruchtbare Gebiete im Süden anzusiedeln, wo sie sich wieder selbst versorgen können. Es soll ein „vernünftiges“ Verhältnis von Bevölkerungsdichte und Bodenqualität hergestellt werden. Daß dabei Familien auseinandergerissen werden und Tausende allein auf dem Transport sterben, wird von der Regierung in Kauf genommen. Die Umsiedlungsaktionen konzentrierten sich hauptsächlich auf die Operationsgebiete der eritreischen und tigrinischen Befreiungsfront und bewirkten somit eine Entvölkerung aufständischer Regionen. Im Rahmen des Verdorfungsprogramms sollen bis 1995 dreißig Millionen aus ihren traditionellen Streusiedlungen in neue Zentraldörfer zusammengefaßt werden. Damit soll eine bessere Versorgung der Dorfbevölkerung mit sozialen Einrichtungen wie Krankenhäuser und Schulen erreicht werden. Nicht beachtet werden dabei die kulturellen und sozialen Folgen. Betroffen davon sind überwiegend die Oromo. Die bisher durchgeführte Kollektivierung führte zum Rückgang der Agrarproduktion in den sonst sehr fruchtbaren Gebieten, eine wesentliche Ursache für die erneute Hungerkatastrophe. Anfang Dezember nahm die Regierung ihr Umsiedlungsprogramm wieder auf, das sie vor einem Jahr vorläufig eingestellt hatte. Nach neuesten Agenturmeldungen sollen bis März 1988 drei Millionen äthiopische Landbewohner umgesiedelt werden. Daß gerade in dieser Zeit von den internationalen Hilfsorganisationen verstärkt Hungerhilfe geleistet wird, war bei der Planung der neuen Aktion bestimmt kein unwichtiger Faktor für die äthiopische Regierung. Antonia Schmidt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen