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Frankreichs Superphenix brütet nicht

■ Der Schnelle Brüter in Malville steht seit sieben Monaten still / Von Georg Blume und Mycle Schneider

„Creys-Malville ist ein Luxus, die Elektrizität von hier ist nicht lebenswichtig.“ Der Atomingenieur, der seinen Namen nicht gern in der Zeitung sehen will, gibt sich auch in heißer Umgebung lässig-kühl. Gleich nebenan, im Reaktorgebäude, drehen die Kühlpumpen des ersten Schnellen Brüters in Europa, der auf kommerzielle Produktion ausgelegt ist. Doch der Ingenieur übt sich im Understatement: „Creys-Malville ist nur ein Versuchsreaktor. Er wird so viel Elektrizität liefern, wie er kann. Um so besser, wenn er auch im Winter läuft.

„ Der Brüterverfechter hat Pech. Diesen Winter drehen die Pumpen in Malville nur noch, um das KÜhlmittel Natrium flüssig zu halten. Keine einzige Kilowattstunde liefert „Superphenix“, der westlichen Welt teuerster Atomreaktor, derzeit ans Netz. Der Schnellbrüter schläft, und kein Wecker ist gestellt. Was die europäischen Atommanager nicht erwartet hatten: Ausgerechnet ihr treuer Verbündeter, der französische Industrieminister, ist ihnen in die Quere gekommen. Am 1. Dezember lehnte Minister Alain Madelin den Antrag der Kraftwerksleitung auf Wiederin betriebnahme ab. Stattdessen gab er umfangreiche neue Sicherheitsstudien in Auftrag. Die Verzögerung schätzen Betreiber und Ministerium übereinstimmend auf sechs bis zwölf Monate. Doch selbst wenn diese Frist abgelaufen ist, gibt es keine Garantie, daß die Turbinen wieder angeworfen werden können. Unser Atomingenieur: „Es gibt da dieses kleine technische Detail, das die Dinge in die Länge zieht.

„ Bereits im März dieses Jahres signalisierte eine Alarmleuchte im Konztrollraum das „kleine technische Detail“: ein Natriumleck im Lagertank für Brennelemente. Dieser Tank, von dem in Malville alle reden und der zum Brennelementwechsel dienen sollte, ist für den interessierten Laien leicht am Mini-Kraftwerksmodell im Besucherzentrum auszumachen. Er grenzt direkt an den Hauptreaktortank. Ein Betonbunker läßt an den Seiten des Lagertanks ganze zehn Zentimeter und darunter rund 30 Zentimeter Raum. Selbst für Inspektionen bleibt da wenig Platz. Deshalb müssen im Spitzentechnologiezentrum Malville alle Reparaturarbeiten mit dem Preßlufthammer beginnen. Mit einer „relativ bedeutenden Baustelle“ rechnet denn auch die Kraftwerksleitung. Die anstehenden Arbeiten, so gibt für die westeuropäische Betreibergesellschaft NERSA1 ihr Vorstandsvorsitzender zu, können vier Jahre dauern. Solange aber gehämmert, geschweißt und gebohrt wird, um einer Lösung des Lagertankproblems näherzukommen, ist für die NERSA an dauerhaften Betrieb nicht zu denken. Der gigantische Tank ist 13 Meter hoch und 9,5 Meter breit, er enthält im Normalfall 700 Kubikmeter Natrium. Mit ihm muß ein Herzstück des Reaktors ausgewechselt und neu zusammengeschweißt werden. Es sei denn, man erfindet ein völlig neues Brennstoff-Ladekonzept und baut die entsprechenden Maschinen. Um kleine Details geht es jedenfalls nicht.

Die Schwierigkeiten begannen schon mit der Entdeckung des Natriumlecks. Der erste Alarm am 8. März 1987 blieb ohne Konsequenz. Die Sicherheitsbehörden notierten später: „Aufgrund von Irrtümern in der Alarmbeschriftung und der Gewöhnung des Werkspersonals an Fehler in den Erkennungssystemen von Natriumlecks wurde dieser Alarm als Fehlalarm interpetiert.“ Nach vier Wochen vergeblicher Fehlersuche im Alarmsystem stellte man endlich fest, daß im Lagertank „15 bis 20 Kubikmeter Natrium fehlten“. Der Sicherheitsdienst des Industrieministers läßt dabei das regelwidrige Verhalten des Betriebspersonals unerwähnt. Die für den Alarm vorgesehenen Anweisungen blieben ungelesen. Jean-Francois Mottet, heute Sprecher der Kraftwerksleitung, war seinerzeit verantwortlicher Chef vom Dienst. Was folgert er aus dem Vorfall?

„Für mich hat der Zwischenfall gezeigt, daß der Lagertank richtig konzipiert war, trotz dieses kleinen Fehlers, weil wir ja eine Sicherheitshülle um den Tank vorgesehen hatten. Selbst wenn wir sofort richtig reagiert, also selbst wenn wir das Leck sofort gefunden hätten, hätte dies nicht viel geändert, da wir nicht in der Lage gewesen wären, das Leck zu stopfen.“ Sicherheitsphilosophie in Malville. Was passiert wäre, wenn die Hülle ebenfalls nicht gehalten hätte und Natrium auf den Beton getropft wäre, darüber gibt es nur Vermutungen. Unwahrscheinlich ist diese Hypothese nicht. Die Sicherheitshülle ist nämlich aus gleichem Material und mit gleicher Fertigungstechnik hergestellt wie der poröse Tank.

Die Ursache für die Risse im Tank, ob Materialfehler oder fal sches Schweißverfahren, kennt bis heute niemand. Auch die Bunddesdeutsche Siemens-Tochter, Interatom-Noell, könnte verantwortlich sein: Sie lieferte das Engineering für den kaputten Behälter. Heute studiert man das Problem in der riesigen Maschinenhalle von Malville vor geräüschlosen Dampfturbinen. Hier stehen Modellbauten in Originalgröße, an denen die Brüteringenieure ihre Kenntnisse erweitern. Doch das kostet Zeit und Geld. Seit dem 26. Mai letzten Jahres steht Superphenix nun schon still. Die Reparaturkosten werden auf rund 150 Millionen DM geschätzt, die Fixkosten und Hunderte Millionen Verluste, weil kein Strom produziert wird, nicht eingerechnet. Um Defiziten und Imageverfall vorzubeugen, wollten die Betreiber Malville auch ohne Lagertank wieder in Betrieb nehmen. Der Industrieminister legte ihnen nun statt der Genehmigung umfangreiche Auflagen vor. Jean-Francois Mottet erklärte, was vor einer erneuten Betriebsaufnahme geschehen muß: Unfallszenarien sollen ausgearbeitet werden für den Fall, daß der Reaktortank ebenso wie der Lagertank zu lecken beginnt. Alle Schweißnähte des Reaktors sollen mit einem speziellen Roboter auf ihre Qualität gepüft werden. Und dann: „Angesichts des Lagertankunfalls werden wir die anderen bedeutenden Bestandteile des Kraftwerks erneut untersuchen, so die Pumpen des Primärkreislaufs, die Wärmetauscher, die Dampfgeneratoren und den Sekundärkreislauf.“ Mit anderen Worten, ganz Superphenix bekommt eine sicherheitstechnische Generalüberprüfung. Genau dies forderte auch der nationale Gewerkschaftsbund CFDT; Anti- AKW-Gruppen und die französischen Grünen verlangen unterdessen die endgültige Stillegung des defekten Brüters. Die Wahrscheinlichkeit eines Lecks im Brennelement-Lagertank war mit höchstens einmal in 10.000 Jahren berechnet worden. Der „hypothetische Unfall“ der Klasse 4, ebenso unwahrscheinlich wie das Schmelzen von sieben Brennelementen oder ein Leck im Reaktortank, trat 14 Monate nach dem Netzanschluß des Superphenix auf. Da stellt sich nicht nur für die regionale Anti-AKW-Koordination (CED) die Frage: „Welche Gewißheit kann man haben, daß nicht ein anderer, genauso hypothetischer Unfall, in einem genauso schlecht geschätzten Zeitraum auftritt?“. Das nennt man dann Restrisiko.

1) NERSA gehört zu 51 der italienischen ENEL und zu 16 Bauherrn SBK. Die SBK wiederum teilen sich der größte bundesdeutsche Stromkonzern RWE (68,85 RWE also rund 11

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