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Sri Lanka im Zeichen zunehmender Gewalt

Bombenanschläge und Gefechte zwischen alten und neuen Milizen machen Sri Lanka immer mehr zu einem zweiten Libanon / Indiens „Friedenstruppe“ versagt bei der Befriedung / Zunehmend Zeugenaussagen über eigenen Greueltaten  ■ Aus Colombo Biggi Wolf

„Die Atmosphäre glich der Stimmung auf einem lecken Schiff: während es sinkt, spielt die Kapelle weiter zum Tanz auf.“ So beschrieb eine Hotelangestellte den prunkvollen Silvesterball in Colombos Nobelabsteige „Lanka Oberoi“. In der Stadt Kandy im Hochland explodierte noch in den letzten Stunden des Jahres – gerade waren 45 feierlich geschmückte Elefanten vorbeigezogen – eine Bombe. Zwei Menschen starben, über 150 wurden verletzt. In unmittelbarer Nähe wurden in derselben Nacht noch weitere drei Bomben entschärft.

Im Zentrum der Hauptstadt Colombo gehören sowohl die Einsatzfahrzeuge der Bombensuchtrupps als auch die in Abstand von etwa 100 Metern postierten schwerbewaffneten Militärs inzwischen zum gewohnten Stadtbild. Doch den nächsten Bombenanschlag, sei er von der singhalesisch-nationalistischen Volksbefreiungsfront JVP oder von tamilischer Seite initiiert, werden auch sie nicht verhindern können. Von einem Jahr der „zunehmenden Brutalisierung der Gesellschaft und der Institutionalisierung der Gewalt“ spricht die lankanische Zeitung The Island in ihrem Kommentar zum Jahresausklang. Ein Kartoon zeigt die untergehende Sonne der Tamil Tigers (LTTE) bei gleichzeitig aufgehender Sonne der JVP: Die radikalen singhalesischen Gegner jeglicher Zugeständnisse an die tamilische Volksminderheit haben seit der Unterzeichnung des indo-lankanischen „Friedensvertrages“ im Juli 87 schon mehr als 90 Mitglieder der regierenden United National Party ermordet.

„Innerhalb von zwei Wochen“ werde er mit dem „JVP-Terrorismus“ im Süden Schluß machen, hatte Präsident Jayewardene vor Weihnachten großspurig angekündigt, und zwar „nicht durch die Wahlurne, sondern per Gewehr kugel“ (not by ballot but by bullet). Die Antwort von der Gegenseite erfolgte prompt: Am 23. Dezember wurde im morgendlichen Verkehrsgewühl Colombos der UNP-Vorsitzende Harsha Abeywardena, ein persönlicher Vertrauter Jayewardenes, erschossen. Trotz umfangreicher Hausdurchsuchungen und zahlreicher Augenzeugen konnten die Täter, die mit Fahrrädern erschienen waren, nicht gefaßt werden.

Das „Friedensabkommen“, so eine Sprecherin des regierungsunabhängigen „centre for society and religion“ in Colombo, sei für die JVP nur ein willkommener Anlaß, um Jugendliche gegen die Regierung zu mobilisieren. Der Grund für die Entstehung eines solch enormen Gewaltpotentials sei jedoch die katastrophale sozio- ökonomische Situation im Land.

Nach offiziellen Statistiken sind 20 Prozent der Bevölkerung arbeitslos. 7,5 Mio. Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, lebt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Weitere 100.000 Jugendliche drängen Jahr für Jahr neu auf den Arbeitsmarkt.

Dazu kommt in breiten Schichten der Bevökerung das Gefühl, demokratischer Protestmöglichkeiten weitgehend beraubt zu sein. Da die allgemeinen Parlamentswahlen seit 1983 überfällig sind, hat ein Großteil der heutigen Twens noch nie an einer Wahl teilgenommen. Anfang Dezember wurden sämtliche Universitäten des Landes, an denen seit zwei Jahren keine Studentenräte mehr gewählt werden durften, bis auf weiteres geschlossen. Die bislang letzte befremdliche Maßnahme offizieller Stellen ist die Anweisung, das Tragen von Helmen beim Motorradfahren zu unterlassen, damit „Gewalttäter besser identifiziert“ werden könnten. Die Mehrheit der Bevölkerung nimmt die täglichen Schlagzeilen in den Zeitungen über Morde, Entführungen und Waffendiebstähle mit zunehmender Abstumpfung zur Kenntnis.

Keine Ruhe im Norden

Auch aus dem zur „Befriedung“ an die Inder abgetretenen Norden und Osten des Landes kommen nur unfriedliche Meldungen. Über Weihnachten lieferten sich Scharfschützen der Tamil Tigers (LTTE) erbitterte Kämpfe mit der srilankanischen Polizei und der indischen Armee in der im Osten gelegenen Stadt Batticaloa. 35 Zivilisten blieben im Kugelhagel auf dem Marktplatz liegen.

Bei Gefechten zwischen den Tigers und Fundamentalistischen Moslems starben einen Tag später weitere 40 Menschen. Mit der Jihad, einer von der srilankanischen Armee in dreiwöchigen Kursen trainierten moslemischen Bürgerwehr, ist ein weiterer Akteur im frontenreichen Kriegsszenario aufgetaucht. In der Stadt Trincomalee, ebenfalls in der gemischtrassigen Ostprovinz gelegen, wurden allein in den letzten drei Tagen 21 Zivilisten Opfer von Auseinandersetzungen zwischen der LTTE und Singhalesen.

Für die tamilische Jaffna-Halbinsel im Norden wird seit zweieinhalb Monaten, seit Beginn der indischen Militäroffensive, keine Einreiseerlaubnis für Journalisten erteilt. „Nicht, daß wir etwas zu verbergen hätten“, betont der indische Botschafter J. N. Dixit in Colombo, „es handelt sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn dort herrscht noch immer Krieg.“

Von den schätzungsweise 15.000 Tamilen jedoch, die sich aus dem Norden zu Verwandten nach Colombo geflüchtet haben, wird von Vergewaltigungen durch indische Soldaten und rücksichtlosen Granatenbeschuß dichtbesiedelter Gebiete berichtet. In einer gegenüber dem Magistrat gemachten Erklärung beschreibt eine 48-jährige Mutter die Erschießung ihrer vier Kinder durch die Armee an einem Küstenstreifen im Norden. Darin heißt es: „Ich sah auch Frau T. mit ihrem Baby an der Brust und ihren drei Kindern, die am Meer standen. Ein Soldat ging zu ihr hin und schoß zweimal. Sie fiel tot zu Boden, das Baby blieb unverletzt.“

Auf Jaffna gibt es seit zehn Wochen keine Zeitung mehr, die Bevölkerung ist auf die Radiomeldungen angewiesen. Während man in der indischen Botschaft eine Wiedereröffnung der Schulen und Behörden auf Jaffna für nächste Woche plant, riefen die Tigers am Wochenende zum Generalstreik im Norden auf. Vier Regierungsbeamte, die ihren Dienst im Rathaus antreten wollten, wurden von der LTTE kurzerhand erschossen.

Gemäßigtere Kräfte der Regierung in Colombo, allen voran Finanzminister Ronnie de Mel, drängen auf baldigen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, um die extreme politische Spannung im gesamten Land abzubauen. Doch Präsident Jayewardene gibt sich schweigend.

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