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Ganz liberal im Hier und Jetzt

Traditionelles Dreikönigstreffen der FDP in der Stuttgarter Oper / Langeweile und Mäßigung im Hohen Haus / Remstalrebell auf verlorenem Posten / Prominenz trat auf, der Rest applaudierte / Nachwuchsstar Döring will unbedingt Minister werden  ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier

Es ist doch jedes Jahr das gleiche, derselbe Mummenschanz, der sich da in Stuttgarts Opernhaus wiederholt. Und das an einem Feiertag, zum Ärger vieler Journalisten.

Ein Haufen gepanzerter Limousinen aus der Bundeshauptstadt. Im Inneren wird lange vor Beginn gekämpft um einen Sitzplatz im Foyer – die ersten Reihen dicht geschlossen für Ehrengäste. Die FDP, auf ihrem traditionellen Stuttgarter Dreikönigstreffen, besinnt sich vorwärts, rückwärts, seitwärts Liberales.

Draußen auf der Freitreppe – und auch das hat Tradition, steht Remstalrebell Helmut Palmer in Erwartung seines intimen Gegners, des Staatssekretärs im Bundeslandwirtschaftministerium Schorsch Gallus. Der kommt, im Daimler, der Streit geht los. Doch reichlich blaß wirkt mittlerweile auch der Rebell, auch er befindet sich auf Stimmenfang zur Landtagswahl.

Axel Heinzmann, ein Tübinger Rechtsradikaler, ebenfalls mit Tradition, ist auch mit von der Partie. „Hängt Honecker“, fordert er mit einem Flugblatt und verteilt einen Steckbrief mit dem Konterfei desselben.

Drinnen dann, zwischen silberfarbenen klassizistischen Ornamenten auf ocker-braunem Grund, ist man ordentlich gekleidet. Transpiriert, und zwar kräftig, wird nur am Rednerpult – doch geht auch hier die Post nicht ab.

Auftritt des jüngsten der drei Könige, des Landesvorsitzenden der Liberalen – Walter Döring, dem Alter nach ein Kronprinz noch, doch schon jetzt mit freidemokratisch aufgeblähten Nüstern. Der Applaus ist zaghaft, und als er beginnt, seine Worte von gestern, vorgestern und dem vergangenen Jahr zu wiederholen, schweift der Blick müde zu Justizminister Engelhardt; wer diesen Herrn je applaudieren sah, ahnt seinen schnellen Geist, die wieselflinke Zunge. Zurück zum Stehpult, dort ist noch immer Walter Döring.

FDP, sagt er, das sei die Partei der Freiheit, und in den baden- württembergischen Landesfarben sei nicht nur Schwarz, sondern auch liberales Gelb mit drin. Einen Angriff auf des Wirtschaftsgrafen Lambsdorffs Spekulationen um den neuen Bundesvorsitzenden – kropfunnötig, unappetitlich und unanständig heißt es noch im Manuskript –, spart er sich lieber.

Martin Bangemann, meint er stattdessen, wir brauchen dich! Applaus. Mein Nachbar war mittlerweile eingenickt, doch schrickt er hoch, als Döring ruft: „Wir wollen, daß der Wald wieder in die Schlagzeilen gerät!“

Walter Döring, der Vermummungsspezialist der FDP, will hier Minister werden – egal wofür. Dienstleistungsabend – nein danke, hatten Mitglieder der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft vor der Oper gefordert. Herr Döring lobt die „saubere Demonstration“. Einer Wiedereinführung des Landfriedensbruchsparagraphen, sagt er, wolle er sich verweigern, und „Hände weg vom §218“. „Zum Glück gibts die Liberalen.“

Die Zeit wird knapp, der Platz ebenso, wenden wir uns Hans Dietrich Genscher zu. Neun Fernsehteams sind aufgefahren. Genscher wünscht dem Bangemann, er möge bleiben, was, wie und wo er ist, dann kommt die Politik: „Nach einem neuen Krieg gibt es keine Nachkriegszeit mehr, und, wo kein Leben mehr ist, ist auch keine Freiheit“, meint der Friedensfreund. Die Grenzen, alle, müßten überwunden werden.

Ausländerfeindlichkeit, meint Genscher, sei Gewalt gegen die Menschenwürde, und: „Europa darf nicht absinken zum Lizenznehmer von Amerikanern und Japanern“.

Ein Abkommen über das „Menschenvernichtungsmittel“ der chemischen Waffen sei zu schließen, über die Abrüstung von Panzern, Artillerie und Kurzstreckenraketen sei zu verhandeln. Eine positive Abhängigkeit von Ost und West wünscht sich der Außenminister. Denn: Auf gesamtdeutschem Boden stehen die meisten Waffen, deshalb müsse von hier für den Frieden auch am meisten geschehen. Ja, „die Zeit der Liberalen geht erst richtig los“. Langer Applaus!

König Bangemann tritt auf und schwitzt. Streit mit dem Bundeskanzler gebe es nicht, meint er, Opportunismus gegenüber der Stahlindustrie aber führe in den Ruin. Den großen Schlendrian an Rhein und Ruhr hätten wir schließlich alle zu bezahlen. Ein hemmungsloser Wohlfahrtstaat versklave nur die Menschheit. Weg will gerade er von Selbstherrlichkeit, Filz und Arroganz, mit Privatisierungen und Strukturveränderungen und gegen Starrheit in der Arbeitszeit.

Europa, meint der Bundeswirtschaftsminister zum Schluß, habe eine Vision verloren – und schaut dabei hinauf bis in den 3.Rang. Wer weiß, ob sie sich im Lichterglanz des Kronleuchters verborgen hält.

Draußen ist es schön warm geworden, zum Glück gehts dem Sommer entgegen.

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