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Katz- und Maus-Spiel im Gaza-Streifen

■ Viele Geschäftsleute und Arbeiter fühlen sich in der Zwickmühle zwischen ihren politischen Sympathien und der Notwendigkeit, ihre Familien zu ernähren / Palästinensische Jugendliche sorgen für die Schließung, israelische Soldaten für die Wiedereröffnung der Läden

Gaza (wps) – Die Stadt Gaza war am Mittwoch einmal mehr Schauplatz eines Katz- und Mausspiels zwischen palästinensischen Jugendlichen, die gegen die Besatzung protestierten, und israelischen Soldaten. Die Rolle des Käses sozusagen übernahmen die Geschäftsleute im Zentrum der Stadt.

Als die Ladenbesitzer am Morgen in ihren Geschäften eintrafen, wurden sie von maskierten palästinensischen Jugendlichen mit Steinen empfangen, die sie aufforderten, ihre Läden als Teil eines Generalstreiks gegen die Besatzung zu schließen. Einige Stunden später ordneten israelische Soldaten mit Maschinengewehren die Eröffnung der Geschäfte an. Kaum waren sie von der Bildfläche verschunden, tauchten die palästinensischen Jugendlichen wieder auf und verlangten die neuerliche Schließung.

„Was kann ich tun?“ fragte der Manager des Dador Trading Cen ters verdrießlich und zeigte auf die verbogene Halterung des Metallrollos vor seinem Geschäft. Soldaten hatten versucht, die Läden mit Stemmeisen aufzubrechen. In einem reparierten Fenster, das palästinensische Jugendliche vor einigen Tagen eingeworfen hatten, prangt mittlerweile eine neue Scheibe. „Jeden Tag heißt es mal Öffnen, mal schließen. Warum kommt die Armee und sagt mir, ich soll das Geschäft öffnen, wenn doch alles geschlossen ist?“ klagt der Manager.

Der israelisch besetzte Gaza- Streifen ist nicht nur Schauplatz der Konfrontation zwischen Palästinensern und Soldaten, sondern auch eine gottverlassene Gegend, in der Händler und Arbeiter unter widrigen Umständen versuchen, sich wie kümmerlich auch immer durchzuschlagen. Seit Beginn der Revolte vor vier Wochen waren die Geschäfte fast ständig geschlossen und die 50.000 Palästinenser aus Gaza, die in Israel ar beiten, mußten während eines Gutteils dieser Zeit auf ihre einzige Einkommensquelle verzichten.

„Die arabische Bevölkerung ... will zur Normalität zurückkehren, weil sie sieht, daß die Unruhen, Aufruhr und Steinewerfen nirgendwohin führen“, hatte Ministerpräsident Jitzhal Shamir Anfang der Woche in Radio Israel gesagt. Doch auch ältere Palästinenser weisen diese Darstellung als vereinfacht zurück. Die Lage sei wesentlich komplexer. Viele verleihen ihrer Sympathie für die Jugendlichen in ihrem Kampf mit der Armee Ausdruck. Viele blicken auch auf eigene Erfahrungen mit den Soldaten zurück, die von einer als demütigend empfundenen Behandlung an einer Straßensperre des Militärs bis zu Gefängnisaufenthalten reichen. Sie sind sich einig in ihren Klagen über die zwanzigjährige israelische Besatzung und beharren größtenteils auch darauf, daß es ihnen nicht um das Geld leid ist, das sie in den letzten Wochen weniger verdient haben. In privaten Gesprächen äußerten einige jedoch auch gewisse Reserven. Die ersten Streiktage Anfang Dezember seien durchaus freiwillig gewesen. Doch in dem Maße, wie sich die Arbeitsniederlegungen hingezogen hätten, hätten Jugendlichen sie gezwungen, der Arbeit fern zu bleiben.

Bahai Sofri arbeitet in der Erez Dayan Kleiderfabrik, gelegen in einer Industriezone in israelischem Besitz innerhalb des Gaza- Streifens. Er ist im letzten Monat so oft wie möglich zur Arbeit gegangen. „Vom ideologischen Gesichtspunkt aus bin ich mit den Jugendlichen einverstanden“, erklärt er, „aber von einem praktischen Gesichtspunkt aus gibt es keine Alternative. Ich habe eine Frau und drei Kinder. Um zu leben, muß ich arbeiten“. Am Mittwoch sind nur zehn von sechzig Arbeitskräften in dem Betrieb erschienen. Ihre Arbeit ist ganz besonders widersprüchlich. Die wichtigsten Produkte der Firma sind militärischer Natur, wie Zelte, Jacken, Rucksäcke und Pistolenhalfter, die von Palästinensern hergestellt werden, die die Besatzung ablehnen. Samer, ebenfalls Arbeiter in der Fabrik, gab ganz spezielle Gründe an, warum er am Mittwoch zur Arbeit erschienen ist: Er habe sich an den Demonstrationen beteiligt und wolle in der Lage sein, ein Alibi vorzuweisen, wenn die Polizei käme...

Die Situation hätte sich bereits weitgehend beruhigt, wissen Händler in der Stadt zu berichten, doch dann sei am Sonntag bekannt gegeben worden, daß neun Palästinenser, darunter vier aus dem Gaza-Streifen, aus ihrer Heimat verbannt werden sollten. Und in der Westbank sei wieder eine Frau erschossen worden. Sonntagnacht flammten die Protestaktionen prompt wieder auf. Glenn Frankel

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