Datenrechtliches Desaster

■ Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragte macht Haarsträubendes amtlich

Stuttgart (taz) – Der jährliche Bericht der baden-württembergischen Landesbeauftragten für den Datenschutz, Ruth Leuze, ist längst zu einem Seismographen über den Umgang des Staates mit seinen Bürgern geworden.

Akribisch wird da die Ignoranz von Ministerien und Behörden, von Polizei und Verfassungsschutz gegenüber der datenmäßigen Intimsphäre baden-württembergischer Bürgerinnen und Bürger offengelegt. Eines der gravierendsten Jahre war da das vergangene.

Volkszählung war angesagt. Das Gesetz, so Frau Leuze zu Beginn des vergangenen Jahres, sei zwar verfassungskonform, aber ihre erste Kritik richtete sich gegen die Durchführungsbestimmungen des Landes. Ihr gestriger Bericht enthielt eine de Summierung der datenschutzrechtlichen Verstöße, die einem die Haare zu Berge stehen läßt.

Als Mitte Mai die Zähler ausschwärmten, so Frau Leuze, „wurde mein Amt mit Beschwer den aus der Bevölkerung geradezu überschüttet“. Zähler, so berichtet sie, hätten ihre Nachbarn registriert, massenhaft gingen ausgefüllte Volkszählungsbögen in den Erhebungsstellen verloren und mußten mehrfach ausgefüllt werden. Leiter und Personalchefs von Heimen und Anstalten füllten Bögen von Patienten und Mitarbeitern lieber gleich selbst aus. Justizvollzugsbeamte verlangten die Bögen von Gefangenen zur Prüfung.

Eltern mußten über ihre erwachsenen Kinder Auskunft geben, Postumschläge zur Rücksendung der Bögen wurden verweigert. Zähler verloren Ausweise, Begehungslisten und ausgefüllte Erhebungsvordrucke. Wer den Anschein machte, er neige zum Verweigern der Auskünfte, wurde mit einem „V“ markiert. Die Markierung ist bis heute nicht wieder gestrichen. Entsprechende Bitten wurden vom Statistischen Landesamt zurückgewiesen.

Im Nachhinein, so Frau Leuze, könnten sich Bürgerinnen und Bürger ohnehin nicht mehr vor nachträglichen Veränderungen ihrer Angaben schützen. Angaben, die Zählern und Erhebungsstellen nicht paßten, seien radiert und verändert worden. Äußerungen von Zählern: „Ich weiß doch, was richtig sein kann, und was nicht.“ Der Leiter einer Erhebungsstelle füllte den Bogen seines Hausarztes dann schon lieber selber aus.

Jetzt aber, wo die Datenflut zusammen ist, geht der amtliche Schlendrian erst richtig los. Ein Sicherheitsprogramm für all die Daten gibt es noch genausowenig wie ein einsatzbereites Plausibilitätsprogramm.

Bis 1989, so die baden-württembergische Datenschützerin, müssen Bürgerinnen und Bürger hierzulande auf die Anonymisierung ihrer Daten warten müssen. Solange lagert das Zeugs, für jedermann zugänglich in den Korridoren des statistischen Landesamts. Boykotteure, die in den polizeilichen „Terrordateien“ gespeichert sind, kommen da wohl nicht mehr heraus. Dietrich Willier