piwik no script img

Grüne: Auf durch die Mitte

Neue innergrüne Formation gegen Fundis und Realos / Mit Manifesten Gründungskonsens suchen / Bundesvorstand zum Rücktritt aufgefordert  ■ Aus Bonn Ursel Sieber

Der „grüne Aufbruch 88“ kommt in Schwung: Unter diesem Motto kamen am Samstag erstmals Grüne zusammen, die sich als eigenständige politsche Kraft formieren und die Dominanz von „Realos“ und „Fundis“ aufbrechen möchten. Knapp 200 Personen waren nach Mainz gereist; initiiert hatte das Treffen eine Gruppe um den früheren Vorstandssprecher Lukas Beckmann und MdB Antje Vollmer.

Dieser Gruppe geht es darum, das „Fundament“ und den „Gründungskonsens“ der Grünen neu zu formulieren, da dieser „verloren gegangen ist“ (Lukas Beckmann). Dazu soll in den nächsten Wochen ein „Manifest“ verfaßt werden. Auch die anderen Strömungen wurden zur „Manifestation“ ihrer Positionen aufgefordert. Die Mitglieder der Grünen sollen in einer „Urabstimmung“ entscheiden, „welche Positionen für die Einheit und welche für die Vielfalt stehen“. Von der Gruppe des „grünen Aufbruchs 88“ wurde beschlossen, bei zwei weiteren Treffen im März, über die „Konturen“ ihres Manifests zu diskutieren. Danach sollen die Kreisverbände über eine Urabstimmung entscheiden. Ist ein Drittel der Kreisverbände (ca. 120) dafür, könnte im Sommer über die „Manifeste“ abgestimmt werden. In jedem Fall soll das „Manifest“ der „Unabhängigen“ zum Strategieparteitag im Mai vorliegen.

Bei der Tagung am Wochenende wurde deutlich, daß viele der Anwesenden mit der Urabstimmung große Probleme haben. Doch die Initiatoren blieben bei ihrer Idee einer Grünen-Befragung. Der Bremer Landtagsabgeordnete Ralf Fücks sagte, eine Zäsur müsse markiert werden, um die „Hegemonie der Flügel“ zurückzudrängen. „Realos und Fundis“ führten die Grünen in eine Sackgasse, weil sie die Partei „vor falsche Globalalternativen“ stellen. Die Urabstimmung über Manifeste sei eine „dramatische Initiative“, aber die einzige „Chance, Mitglieder aus der Lethargie zu wecken.“

Antje Vollmer sprach von einem Prozeß der „Resignation, Ermattung und von langsamer Auszehrung“ der Partei. Sie kritisierte den „Trend, im Gegensatz zur Aufbruchphase alles nach oben zu delegieren“. Natürlich gehe es auch um Macht: „Man kann eine Partei von dieser Bedeutung in dieser Krise nicht ohnmächtig retten.“ Lukas Beckmann betonte, daß die Grünen nur über eine Mobilisierung der Basis ihre politische Kraft sowie die „Kampagnenfähigkeit“ zurückgewinnen könnten. Gremienbeschlüsse könnten die Krise nicht mehr beheben. Die Urabstimmung bzeichnete er als eine „Methode der Demokratisierung“ mit eigenständigem Wert. Sie biete allen Mitgliedern der Grünen die Chance, „Verantwortung“ für den künftigen Kurs der Partei zu übernehmen.

Die Aufbruch-Gruppe machte gleichzeitig deutlich, daß sie auch personell einen Machtanspruch anmeldet: Lukas Beckmann meinte, eine Neuorientierung der Grünen sei ohne neue Gesichter in der Fraktions- und Parteispitze nicht möglich. Aber man wolle die personelle Frage keinesfalls vor die inhaltliche schieben: „Wenn nur Antje Vollmer und Christa Nickels in den Fraktionsvorstand gewählt werden und es passiert sonst nichts, dann werden sie kläglich scheitern.“

Daß die politische Hegemonie der Flügel zurückgedrängt werden muß, wurde auf dem Treffen von niemandem bestritten. Auch die „Manifest“-Idee war nicht umstritten. Allerdings versuchten manche, der „Aufbruch-Gruppe“ die Urabstimmung auszureden. Ein AL-Mitglied kritisierte, daß die Gruppe „zu schnell auf Lösungswege und auf die Machtfrage“ zusteuere: Die Debatte um die Krise der Grünen werde so „frühzeitig totgeschlagen“. Man müsse „die Chance sich entwickeln lassen“ und dafür sorgen, daß die Flügel über die politische Formierung einer anderen Kraft „ihre Autorität verlieren“. Von der AL- Berlin lag auch eine schriftliche Stellungnahme gegen die Urabstimmung vor: Das mache keinen Sinn, wenn es um die Entscheidung „komplexer Strategiepapiere“ gehe. Eine Urabstimmung bedeute, „in populistischer Manier die Mitgliedschaft zur Akklamation für ein von einem relativ begrenzten Personenkreis erarbeitetes Papier aufzurufen“. Sie zwinge die Alternative auf, „einem vorgegebenen Text zuzustimmen, sich in die Enthaltung zu flüchten oder eine Inflation der Manifeste zu betreiben“.

Unklar blieb bis zuletzt das Verhältnis von Programm und „Manifest“. Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Helmut Lippelt wandte sich heftig gegen eine Formulierung von Lukas Beckmann, der in einem Aufsatz von einer „verbindlichen Orientierungs- und Handlungsgrundlage“ gesprochen hatte. Doch ein Manifest dürfe das Programm in keinem Fall ersetzen. Der Bremer Parlamentsabgeordnete Fücks versuchte darzulegen, was das „Manifest“ vom Programm unterscheiden soll: Es ginge darum, „Erfahrungen aufzuarbeiten“ und die „politische Grundhaltung“ zu klären, mit der die Grünen politische Auseinandersetzungen führen und Programme formulieren.

Die frühere Bundestagsabgeordnete Hannegret Hönes nannte das „Manifest“ eine „Präambel mit der grünen Grundidee“, mit einem Reiz und einer Autorität, die in die Partei hineinstrahle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen