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Für Blockadeaufruf verurteilt

■ Nach dem gestrigen Urteil des Simmerer Amtsrichters Göttgen ist nun schon der bloße Aufruf zur Blockade von Raketenstandorten mit Strafe bedroht / Studentin zu 55 Tagessätzen verleumdet

Simmern (taz) – Erstmals in der Geschichte des Widerstandes der Friedensbewegung gegen die Stationierung von Raketen und Cruise Missiles ist eine Verurteilung wegen des bloßen Aufrufs zu einer Blockade verhängt worden. Der Simmerer Amtsrichter Heinz-Georg Göttgen verurteilte gestern die 19-jährige Schülerin Heike Michel aus Külz im Hunsrück wegen des gemein schaftlichen öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat und wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu einer Geldstrafe von insgesamt 770 Mark (55 Tagessätze). Richter Göttgen machte in seiner Urteilsbegründung deutlich, daß ihn mögliche Kritik an diesem harten Urteil nicht interessiere. „Was mich interessiert, ist das Oberlandesgericht Koblenz“, betonte er. Doch Widerspruch von dort braucht Richter Göttgen nicht zu fürchten. Bis jetzt bestätigte das OLG seine Fließbandurteile allerdings gegen TteilnehmerInnen an Blockaden.

Heike Michel hatte im April vergangenen Jahres spontan nach einem Blockade-Prozeß – der verurteilende Richter hieß damals Heinz-Georg Göttgen – einen bundesweiten Aufruf der Friedensbewegung zur „Mai-Bloc kade“ der Cruise-Missile-Basis in Hasselbach unterschrieben. Gegen alle 105 Aufrufer, unter ihnen Katja Ebstein, Alfred Mechtersheimer, Bernt Engelmann und Rudolf Bahro, leitete die Staatsanwaltschaft Bonn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten ein.

Die Angeklagte habe es, so Göttgen weiter in seiner Urteilsbegründung, „billigend in Kauf genommen, daß ihre Aufforderung zur Blockade ernst genommen werde“. Blockaden sind nach dem Simmerer Landrecht strafbare Nötigungen. „Sie haben in solchen Fällen auf der Straße so nichts verloren“, meinte er. Diese Überzeugung vertrat der Richter auch gegenüber den Ereignissen in Rheinhausen.

Was in Rheinhausen vorgehe, seien „grundsätzlich strafbare Nötigungshandlungen“. Göttgen fühlte sich gleich durch mehrere Hinweise auf Rheinhausen angesprochen. Zum einem durch ein zu Beginn des Prozesses im Gerichtssaal aufgehängtes Transparent „Hasselbach grüßt Rheinhausen“ und zum anderen durch einen Hilfsbeweisantrag des Verteidigers, Klaus Riekenbrauk, der den nordrhein-westfälischen Innenminister Schnoor als Zeugen dafür benannte, daß Blockaden nicht per se schon als Nötigung empfunden und bestraft werden müssen. Ähnlich wie Göttgen bewertet der rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar (FDP) die Proteste der Rheinhausener Stahlarbeiter. Das brachte dem Justizminister Peter Caesar durch den Verteidiger den Vorwurf der „Provinzialität“ ein. Protesten und Zwischenbemerkungen der Zuschauer begegnete der Richter mit der Bemerkung: „Warten Sie doch ab. Es kann jeder Rechtsmittel einlegen. Ich habe doch gar nichts dagegen.“ Wen wunderts bei der Rechtsprechung des OLG Koblenz. Im nachbarlichen Gerichtsbezirk Zweibrücken, der ebenfalls zu Rheinland-Pfalz gehört, wurden Blockade-Teilnehmer bisher freigesprochen.

Nicht nur diese Tatsache hatte der Kölner Verteidiger Klaus Riekenbrauk vorgetragen, sondern angesichts der „mir bekannten Rechtsprechung des Simmerer Amtsgerichts“ richtete er harte Worte an Göttgen. Sein Plädoyer könne eher eine „Urteilsschelte“ sein, da er sich der „Vergeblichkeit seiner Bemühungen bewußt sei“. Womit er recht hatte. Felix Kurz

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