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Gorbatschow grenzt sich ab

■ Gorbatschow charakterisiert seine Kritiker / „Rechte“ wollten keine Demokratisierung, „Linke“ drückten sich vor der Arbeit / Jetzt soll die zweite Phase der Perestroika beginnen

Berlin (afp/taz) - Die Diskussion um die politische Mitte hat eine neue Variante erhalten: In der Sowjetunion hat sie Michail Gorbatschow besetzt. In einem am Dienstag verbreiteten Komunique eines Treffens von Künstlern und Schriftstellern am 8. Januar ortet der sowjetische Parteichef die Gegner seiner Politik der Perestroika auf dem rechten und auf dem linken Flügel der Kommunistischen Partei. Die Kritiker auf der politischen Rechten seien extrem konservativ und meinten, „die Reformpolitik untergrabe die Fundamente des Sozialismus.“ Diese Kritiker seien Anhänger „administrativer“ Methoden und hätten nicht begriffen, daß „wir nicht anders vorankommen können, als durch eine Demokratisierung unseres Lebens.“ Die „Linke“ dagegen meine, die Perestroika sei zum Stillstand gekommen, und fordere „eine personelle Umgestaltung unter den Parteikadern“ vorzunehmen, zitierte Gorbatschow seine Kritiker auf dieser Seite des politischen Spektrums. Zu diesen „Linken“ zählte Gorbatschow auch Boris Jelzin, den ehemaligen Moskauer Parteichef, der durch sein forsches Auftreten gegenüber den Moskauer Konservativen im November gestürzt worden war. Auch wenn der Rücktritt Jelzins in einem Teil der Jugend und bei den Intellektuellen als Schlag gegen die Perestroika gewertet würde, bleibe er selbst bei seinem Kurs, sagte Gorbatschow. Die linken Kritiker bedienten sich einer „extremen Phraseologie“, die für ihn bei der Verwirklichung von Reformen nicht hilfreich sei. Die Vertreter der „revolutionären Phrasen können sich nicht zurückhalten und sind nicht bereit, die Verantwortung und die Bürde einer zähen und langwierigen Arbeit auf sich zu nehmen, die unsere Gesellschaft neuen Grenzen entgegenführen soll“. Und dieses Ziel bleibe nach wie vor bestehen. Die erste Phase der Politik der Umgestaltung sei nun größtenteils erfolgreich abgeschlossen. Bei ihr sei es vor allem darum gegangen, „die Situation in der Mitte der achtziger Jahre auf der theoretischen Ebene zu verstehen“. In der zweiten Etappe, in die man jetzt eintrete und sehr komplex sei, müsse das „Konzept der Perestroika im größtmöglichen Umfang umgesetzt“ werden. Gorbatschow kündigte an, daß sich im Juni eine Parteikonferenz - das höchste Beschlußorgan zwischen den Parteitagen - mit der Reform des Wahlrechts für die Parlamente und innerhalb der Partei befassen werde. Außerdem werde die Parteikonferenz über die Justiz–Reform und über die „Vervollkommnung“ der Kontrollorgane entscheiden.

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