INTERVIEW: „Entsorgungskonzept wäre hinfällig“
■ Reiner Geulen, versiertester Anwalt in Umweltstreitsachen, zur Verfassungsbeschwerde gegen die Zwischenlager
taz: Betreiber und Genehmigungsbehörde des Castor-Zwischenlagers Gorleben wollen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) über die generelle Zulässigkeit von Zwischenlagern nicht mehr abwarten. Wie erklärt sich die plötzliche Eile?
Reiner Geulen: Ich verstehe die plötzliche Eile nur so, daß damit eine publizistische Offensive eingeleitet werden soll, weil sich – ausgelöst durch den Transnuklear-Skandal – allgemein die Erkenntnis durchsetzt, daß am Standort Gorleben eine sichere Entsorgung der abgebrannten Brennelemente nicht möglich sein wird.
Ist abzusehen, wann das BVG über die Beschwerde entscheiden wird?
Das Verfassungsgericht hat mehrfach den Beteiligten angekündigt, daß es in absehbarer Zeit entschieden wird. Anscheinend ist diese Entscheidung doch sehr schwierig. Ich rechne aber damit, daß sie in allernächster Zeit fallen wird.
Die Bundesregierung geht in ihrem neuen Entsorgungsbericht davon aus, daß noch in diesem Jahr Brennelemente in Gorleben eingelagert werden können. Ist das realistisch?
Wenn das BVG die Verfassungsbeschwerde zurückweist, werden die Betreiber sicher versuchen, die Inbetriebnahme durchzusetzen. Es gibt aber auch andere als verfas sungsrechtliche Gründe, die zu dem Betriebsstopp geführt haben und die durch eine Zurückweisung dieser Beschwerde nicht berührt wären. Darüber hinaus ist die Begründung der Beschwerde so stark, daß die Erfolgsaussichten als gut zu beurteilen sind. In diesem Fall wird es sicher in absehbarer Zeit keine Einlagerung in Gorleben geben.
Welche Konsequenzen kann aktuell der Antrag der Betreiberseite auf sofortige Vollziehbarkeit haben?
Zunächst habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, daß Betreiber und Genehmigungsbehörde die Entscheidung des BVG nun nicht mehr abwarten wollen, nachdem das Lager bereits seit mehreren Jahren angeblich betriebsbereit stilliegt. Ich halte außerdem die juristischen Erfolgsaussichten selbst dann für sehr günstig, wenn eine Inbetriebnahme vorher versucht werden sollte. In jedem Fall werden wir dagegen vorgehen. Denn die Gründe, die damals zum Betriebsstopp geführt haben, haben sich eher noch verstärkt.
Müssen die bundesdeutschen AKWs abgeschaltet werden, wenn die Verfassungsbeschwerde Erfolg hat?
Wenn das BVG unsere Rechtsauffassung teilt, würde das zunächst unmittelbare Folgen haben für die Brennelementlager in Gorleben und Ahaus. Das Atomgesetz sieht diese Zwischenlager überhaupt nicht vor. Mittelbar wären aber auch beispielsweise der Transport von Brennelementen und radioaktiven Stoffen betroffen, auch die sogenannten Kompaktlager in den Atomkraftwerken, an sich alles, was mit Entsorgung zusammenhängt. Das gesamte Entsorgungskonzept, ohne das die Atomkraftwerke nicht betreiben werden dürfen, wäre dann hinfällig.
Könnte die Bundesregierung als Konsequenz aus einer solchen Entscheidung nicht einfach das Atomgesetz entsprechend ändern?
Da ginge es nicht nur um die Mehrheit im Bundestag und die Formalie eines solchen Gesetzes, sondern es wären dann substantielle Regelungen erforderlich. Ich glaube nicht, daß es möglich sein würde, solche Gesetze kurzfristiig zu machen. Die heute gültigen Gesetze sind ja 1976 unter der damaligen sozialliberalen Regierung sehr unvorsichtig schnell, übereilt und unbedacht gemacht worden.
Es wäre dann sicherlich erst eine längere Diskussion über die Details solcher Gesetze notwendig. Es ginge nicht nur um Zwischenlager, sondern insbesondere auch um den Transport von Brennelementen und die Sicherung vor der Proliferation, der Weitergabe von Plutonium. Interview: Gerd Rosenkranz
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