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Die Bombe

■ Töpfer muß NUKEM schließen

Der ehemalige „Plutoniumminister“ Wallmann ist von seinem Element ereilt worden. Im Frühjahr 1987 bekam er seine hauchdünne Mehrheit mit der Verteidigung eben jener Hanauer Arbeitsplätze, die er jetzt in Frage stellen muß. Nunmehr ist er zum Akteur der langandauernden grünen Kritik an den Hanauer Atombetrieben geworden. Heißt das, daß die Grünen recht hatten? Aber das stand im Grunde nie zur Debatte. Daß jetzt Wallmann ultimativ die Entlassung des NUKEM-Vorstandes fordert und Töpfer darüber hinaus nicht um die Schließung des Betriebes herumkommt, zeigt etwas anderes: Der Kampf zwischen Atomstaat und Rechtsstaat ist voll ausgebrochen.

Es geht nicht mehr um Skandale, um Anklage, um Korruption, es geht darum, daß die unabsehbare Verfilzung von Staat und Atomwirtschaft die ganze Bundesrepublik in unabsehbare Risiken stürzt. Nicht nur, daß sich spaltbares „waffenfähiges“ Material im Atommüllkreislauf unkontrolliert bewegt – auch die „Proliferation“, die illegale Weitergabe, ist nunmehr Thema.

Bislang hat der Bundestag nicht Aufklärung, sondern „parlamentarische Bewältigung“ angezielt – der Antrag der Grünen auf einen Untersuchungsausschuß, realpolitisch und fundamental präzis, zielte darauf zu klären, ob die Atomindustrie in ihrer Praxis überhaupt mit dem Atomgesetz übereinstimmt. Die SPD, beherrscht von der jüngst wieder erstarkten Atomfraktion in den eigenen Reihen, konnte sich nicht entschließen, einen solchen Untersuchungsauftrag zu unterstützen. Jetzt zeigt sich das Parlament blamiert: Es ist nicht auf der Höhe des Skandals. Die SPD muß jetzt begreifen, daß die Zeit für Vertuschungskartelle vorbei ist. Wenn nicht, dann kann die Exekutive die Beschleunigung der Affäre nutzen, mit einer „Notschlachtung“ des NUKEM-Vorstandes und einer einstweiligen Schließung die Krise abfangen und außerdem Handlungsfähigkeit demonstrieren. Die Stunde des Parlaments – wenn diese Formel überhaupt einen Sinn haben soll – hat begonnen. Jetzt wird entschieden, was in diesem Land der Atomstaat im Staat machen darf.

Es geht nicht mehr um Verstöße gegen das Atomgesetz, sondern darum, daß das Atomgesetz im Kernbestand (zum Beispiel Paragraph 7, besondere Zuverlässigkeit der Betreiber) an der Realität scheitert. Es geht nicht darum, daß korrupte Angestellte Atommüll verschieben, sondern darum, daß schon Korruption ausreicht, um zu ermöglichen, daß Privatleute, Firmen, Staaten, ja die vielberufenen „Terroristen“ sich mit Material für die Atombombe bedienen können. Zum ersten Mal in der 30jährigen Geschichte der „friedlichen Nutzung der Atomenergie“ steht ein deutsches Unternehmen in Verdacht, Atombomben-Material an andere Länder geliefert zu haben. Für den herrschenden Atomstaat ist offenbar der Atomwaffensperrvertrag – immerhin eine Grundlage der Außenpolitik – Makulatur. Was braucht es eigentlich mehr, damit Parlamentarier begreifen, daß es sich hier um eine Staatskrise handelt? Klaus Hartung

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