: CSSR: Der zweite Appell
Nach Dubcek fordern jetzt 43 weitere Politiker des Prager Frühlings ihre Rehabilitierung / In einem Appell Angebot zur Mitarbeit bei einer neuen Reform ■ Von Erich Rathfelder
Berlin (taz) – Nach Dubcek haben sich jetzt 43 weitere Reformkommunisten aus der 68er-Ära in der CSSR zu Wort gemeldet: In einem siebenseitigen Papier fordern die nach dem Ende des Prager Frühlings aus der Partei ausgeschlossenen Kommunisten einen grundlegenden Wandel in allen gesellschaftlichen Bereichen, die politische Rehabilitierung der nach dem August 1968 ausgeschlossenen Parteimitglieder und eine Demokratisierung des öffentlichen Lebens. Die Autoren – unter ihnen die Ex-Minister Jiri Hajek (Außen), Vladimir Kadlec (Erziehung), Cestmir Cisar (Kultur), der ehemalige ZK- Sekretär Josef Spacek und die Frau des ehemaligen Parlamentspräsidenten, Katrin Smrkowski, bieten darüberhinaus ihre Mitarbeit bei der Verwirklichung der Reformpolitik an und fordern die tschechische Bevölkerung auf, dasselbe zu tun – just zu der Zeit, in der sich Parteichef Milos Jakes in Moskau befindet.
„Niemand sollte in unserem Land wegen seiner Gedanken, Ansichten und seiner Haltung bestraft werden“, erklären die Autoren und fordern die Mobilisierung aller Kräfte für eine radikale Reform. Den nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 rund 500.000 aus der Partei ausgeschlossenen Menschen sollte eine Mitarbeit mit dem Ziel, das Land aus der Stagnation zu reißen, ermöglicht werden. Jetzt sei mehr nötig als nur „halbherzige“ Reformen, heißt es in dem Papier, das ap am Mittwoch zugespielt wurde. Die Reform könne aber nur gelingen, wenn allen Bürgern die vollen gesetzlichen und verfassungsmäßigen Rechte zugestanden würden.
Mit ihrem Vorstoß nehmen die Verfasser indirekt Parteichef Milos Jakes beim Wort, der in einem am Mittwoch erschienenen Interview in der Parteizeitung Rude Pravo erklärt hatte, daß „jeder die Möglichkeit“ habe, „auf sozialistischer Basis am öffentlichen Leben teilzunehmen und zum Nutzen des Sozialismus zu arbeiten.“
Da die Gespräche in Moskau auch die „krisenhafte Entwicklung“ während des Prager Frühlings berührten – demm es wurde nach den Worten von Jakes bei der Geschichtsexegese mit Gorbatschow „niemand verdammt“ – wird es dem neuen Parteichef nach seiner Rückkehr schwerfallen, eine ablehnende Antwort auf das Angebot der Reformkommunisten zu formulieren.
In dem Dokument wird entschieden die gängige offizielle Anschuldigung gegen die Reform von 1968 zurückgewiesen, wonach die Reformbewegung außer Kontrolle geraten und der Sozialismus in der CSSR in Gefahr geraten sei.
Im Gegenteil, der Reformkurs sei von der großen Mehrheit der Bevölkerung getragen worden, heißt es in dem Papier, erst durch die „Unfähigkeit der koservativen Funktionäre, unter demokratischen Bedingungen zu arbeiten“, habe eine Stagnation um sich gegriffen, die mit der Situation in der Sowjetunion während der Ära Breschnew vergleichbar sei.
Parteichef Gorbatschow habe mit seinem „wagemutigen Verhalten“ eine neue Chance für den Wandel eröffnet, die „vom selben Fleisch und Blut sei, wie die von 1968 in der Tschechoslowakei“.
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