: VoBo: Trierer Justiz greift durch
Trierer Justiz setzt harte Linie gegen Volkszählungsgegner fort / Studenten verurteilt wegen „Aufforderung zu Straftaten“ per Info-Broschüre / Richter lobt den Horst-Wessel-Lied-Sänger, Staatsanwalt Leisen ■ Aus Trier Felix Kurz
Zu 60 Tagessätzen a zehn Mark hat das Jugendschöffengericht Trier fünf Studenten wegen Verteilens einer Informationsbroschüre verurteilt, in der unter anderem auch die Möglichkeit zur Entfernung der Kennziffer der Volkszählungsbögen genannt wird.
Die Studenten hätten sich der öffentlichen Aufforderung zur Begehung von Straftaten schuldig gemacht, befand die Kammer. Denn, so der Vorsitzende Richter Hilgers in der Urteilsbegründung, das Abschneiden der Kennziffer sei Sachbeschädigung. Den Angeklagten sei es um den Boykott der Volkszählung und nicht, wie diese ausgeführt hatten, um Informationen gegangen. Es sei ihnen auch bewußt gewesen, daß der Boykott ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften sei.
Während der Hauptverhandlung im überfüllten Saal des Trierer Amtsgerichts herrschte noch vor dem Urteil eine eher moderate Atmosphäre. Der Vorsitzende Richter Hilgers wirkte fürsorglich, Staatsanwalt Jähnert-Piallat ruhig. Als er dann jedoch das Strafmaß von 60 Tagessätzen beantragte und in seinem Plädoyer vehement bemerkte, die Angeklagten seien „Überzeugungstäter“, war man sich der Fronten zwischen der Trierer Justiz und der kritischen Minderheit in der Moselstadt wieder bewußt.
Gerade die Trierer Justiz war bundesweit durch ein extrem hartes Vorgehen gegen oppositionelle Meinungen zur Volkszählung in die Schlagzeilen gelangt. Über 30 Hausdurchsuchungen, 14 Anklagen, Spitzeleinsätze und auch die Durchsuchung des Privatradios RPR in Trier, gehörten zum Repertoire der Ermittler gegen mutmaßliche Gegner der Volkszählung.
Als dann noch bekannt wurde, daß Staatsanwalt Horst Leisen, der die Ermittlungsverfahren gegen Volkszählungsgegner mit sehr viel persönlichem Engagement betrieben hatte, mehrfach in Kollegenkreisen das verbotene faschistische Horst-Wessel-Lied gesungen hatte, wurde der Mann nach Frankenthal versetzt und gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet.
Während des Prozesses gegen die fünf Studenten meinte Staatsanwalt Jähnert-Piallat, die Vorwürfe gegen seinen Kollegen seien „unbegründet“. Die harte Linie gegen Volkszählungsgegner seines Kollegen verfocht auch Jähnert-Piallat. Die Be schlüsse zahlreicher Landgerichte in der Bundesrepublik, die das Abschneiden der Kennziffern nicht als Straftat verfolgen wollten, bezeichnete der Anklagevertreter schlicht als „gekünstelt, haarspalterisch und die Dinge auf den Kopf stellend“.
In seiner Urteilsbegründung schoß auch der Jugendrichter Hilgers eine Breitseite für den rechtsradikalen Horst Leisen ab. Er kenne diesen Staatswanwalt als äußerst engagierten Strafverfolger, der sich gegen die Schändung eines jüdischen Friedhofs genauso wie gegen die Volkszählungsboykotteure eingesetzt habe. Der „Lohn für das Verhalten von Staatswanwalt Leisen ist bekannt“, fügte Hilgers hinzu.
Rechtshilfefonds VoBo-Trier- Konto Nr.: 23 71 80, Stadtsparkasse Trier, Wolfgang Billen.
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