: „...der fehlsame, irrende Mensch...“
Ein taz-Gespräch mit Klaus Töpfer, Bundesminister für Reaktorsicherheit und Umwelt ■ Aus Mainz Felix Kurz
taz: Sehen Sie eine Atommafia?
Klaus Töpfer: Mafia ist ein ungeschützter Begriff, aber es gibt Zusammenhänge in den Entscheidungsstrukturen, es gibt wechselseitige Unterstützungen..
..zwischen Staat und Atomindustrie...
..nein, es gibt keine Mafia zwischen Staat und Atomindustrie. Sonst hätte ich nie Bundesumweltminister werden können.
Bislang kannte die Atomindustrie offenbar gar keine Kontrolle.
Das ist immer wieder die gute Möglichkeit der Journalisten, das zu übertreiben, was im Kern richtig ist. Es ist gar keine Frage, daß wir gerade bei schwach- und mittelradioktiven Abfallstoffen mehr Kontrolle brauchen, aber daß da überhaupt keine Kontrolle bekannt ist, ist falsch.
Aber wie soll denn eine solche Kontrolle erfolgreich sein?
Die Tatsache, daß wir Transporte mit Abfallstoffen aus der Kernenergie mit einem 48stündigen Vorlauf anmelden müssen, daß wir Meßprotokolle anzulegen haben, daß Rückstandsproben gemacht werden müssen, daß Dokumentationspflichten da sind, alles das sind ja Maßnahmen, die entschieden sind und durchgeführt werden. Genauso wie die Notwendigkeit, wenn möglich die Transporte überhaupt zu vermeiden, indem wir innerhalb der Kernkraftwerke die Infrastruktur schaffen, die eine Verdichtung, eine Konditionierung, eine Behandlung der Abfallstoffe ermöglicht, damit sie hinterher endlagergerecht sind. Aber das reicht natürlich nicht aus. Wir müssen darüberhinaus die Organisation der Kontrollinstanzen verbessern, wie wir auch klar und deutlich sagen müssen, daß die Bundesaufsicht ihre Funktion nur erfüllen kann, wenn entsprechende Kapazitäten geschaffen werden. Wir brauchen ein Bundesamt für Strahlenschutz.
Inzwischen können wir aber wohl davon ausgehen, daß spaltbares Material durch Bestechungsgelder in andere Länder verschoben wurde. Zu spät also.
Ich kann mich ja nur lächerlich machen, wenn ich sagen würde, in einer Branche mit über 100.000 Beschäftigten gäbe es nur Menschen, die von allen menschlichen Schwächen verschont blieben. In der Technik der Kernenergie haben wir die Begriffe der Diversität und der Redundanz, also der unabhängigen Sicherheitssysteme und der Mehrfachsicherung. Das müssen wir auch gegenüber dem fehlsamen, dem irrenden, dem tatsächlich so menschlichen Mensch, wie wir ihn haben, tun.
Die Atomindustrie ist also nicht zu kontrollieren.
Dies exakt heißt es nicht. Wer das, was ich gesagt habe, bedenkt, kann nur sagen, daß es an irgendeiner Stelle zu so etwas wie einem infiniten Regress kommt. Deswegen muß ich mich dazu bekennen, daß es die sogenannte hundertprozentige, unabdingbare Sicherheit nicht gibt. Wer dieses behauptet, ist entweder uninformiert oder er lügt.
Ein Unternehmen wie Nukem kann doch niemals wieder im Sinne des Atomgesetzes zuverlässig werden.
So wie wir die Zuverlässigkeit von anderen Unternehmen wiederherstellen. Aber wir wollen dabei nicht die Gesellschaft dem Diktat der Kernenergie unterstellen.
Wenn man auf die Atomenergie setzt, wird das anders doch gar nicht möglich sein. Gerade bei der Atomenergie mit einem derart gigantischen Katastropenpotential darf aber nichts schieflaufen.
Dieser Meinung bin ich eben dezidiert nicht.
In einem taz-Gespräch vor einem halben Jahr haben Sie die Möglichkeit des militärischen Mißbrauchs bei der angeblich zivilen Nutzung der Atomenergie von sich gewiesen.
Bis zum Beweis des Gegenteils schließe ich das auch heute noch aus.
Aber diskutiert wird doch nur noch das Wie und nicht das Ob-überhaupt-möglich.
Ich sage nochmal, ich habe über die internationalen Gespräche, die wir geführt haben, keinen Beleg dafür, daß gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen worden ist...
..das ist doch etwas anderes als die Möglichkeit, daß man aus sogenannten zivilen Atomanlagen spaltbares Material für Atombomben abgezwackt haben könnte.
Ich sage auch hier, daß die logische Möglichkeit immer bestehen bleibt. Genauso wie ich vorhin gesagt habe, daß wir selbst durch Redundanz und Diversität von Sicherheitssystemen nicht ausschließen können, daß wir zu einem Punkt kommen, der es dennoch möglich macht. Ich kann diesen Regreß nicht wegbringen und deswegen kann ich das rein logisch nicht widerlegen. Ich kann es nur rein faktisch widerlegen. Und sehen Sie, die Erkenntnisse darüber, wie man spaltbares Material gewinnt, sind zu meinem Entsetzen heute so breit verankert, daß kriminelle Machenschaften heute dazu nicht mehr notwendig sind. Indien oder andere Schwellenländer haben die Kernenergie entwickelt, ob Korea oder...
..Lybien oder Pakistan jetzt..
die Tatsache, daß man mit Pakistan zusammenarbeitet, hat nichts damit zu tun, daß dahin gleich spaltbares Material exportiert wird...
Hier geht es aber um spaltbares Material, das man eben für Atombomben und nicht für AKWs benötigt...
Glauben Sie wirklich, daß man spaltbares Material nicht in Indien oder anderen Ländern entwickeln kann? Ich will das ja gar nicht wegreden. Das ist ja etwas, was mich wirklich umtreibt, was ich als unendliche Belastung für mich ganz persönlich sehe, daß man in der eigenen Verantwortung nicht vermeiden könnte, daß derartige Dinge passieren. Das ist wirklich eine Horrorvision, daß ein Ghaddafi mit unserer Hilfe zur Atombombe käme. Deswegen nochmal, weil die Besorgnis besteht, diese Technik sei nicht und deswegen für uns nicht sicher, diese Konsequenz ziehe ich heute, so wie wir uns begegnen, nicht.
Gibt es angesichts des jüngsten Atomskandals in Ihrer Partei inzwischen Ansätze für einen Umdenkungsprozeß in Richtung Ausstieg aus der Atomenergie?
Ich habe bereits in einem Interview im April letzten Jahres gesagt, wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden. Meine Position ist dabei völlig unabhängig von den jetzigen Ereignissen. Die Sorge, die ich mit der Kernenergie verbinde, ist, daß wir zu lange in eine gewisse Forschungslethargie verfallen sind, weil wir glaubten, auf alle Zeiten den Energiebedarf einer dramatisch anwachsenden Weltbevölkerung zu befriedigen. Wir brauchen eine Erfindung der Energiezukunft ohne fossile, aber auch ohne nukleare Energie.
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