piwik no script img

Chemie-Multi Hoechst feuert auf Verdacht

Kündigung eines oppositionellen Betriebsrats wurde von IG-Chemie-Fraktion unterstützt / Anonymer Fernsehauftritt als Vorwand / Gelber Regen vor dem Arbeitsgericht / Solidaritäts-Komitee verweist auf Repressions-Praxis des Chemie-Multis gegen innerbetriebliche Kritiker  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) – Die Angestellten einer Autoteilefirma in Frankfurt- Griesheim trauten ihren Augen nicht. Kurz nach 12 Uhr mittags entdeckten sie an den auf dem Firmenparkplatz abgestellten 30 Fahrzeugen gelbe Flecken und „Tropfen so groß wie eine Fingerkuppe“. Auf dem Gelände des Nachbarunternehmens wurden sogar 40 Autos gelb eingefärbt. „Gelber Regen über Griesheim“, hieß es am nächsten Tag in der Lokalpresse. Das war vor zwei Jahren, am 20.Januar 1986.

Wenn am 28.Januar dieses Jahres im Raum 203 des Arbeitsgerichts Frankfurt die Güteverhandlung „Hoechst gegen Schaaf“ ansteht, wird es wieder um den damaligen Unfall im Werk Griesheim der Hoechst AG gehen, bei dem rund zwei Kubikmeter des für die Produktion gelber Farbstoffe verwendeten Zwischenprodukts O-Chlornitrobenzol entwichen und auf die Umgebung als feiner Sprühregen niedergegangen sind. Mehrere Menschen hatten seinerzeit über Kopfschmerzen und Hautausschlag geklagt, rund 200 Autos wurden beschädigt.

Hoechst bekannte sich zu dem Unfall und stellte den geschädigten Autobesitzern hochkonzentrierte Lösungsmittel zur Verfügung.

Bei der jetzt zur Verhandlung stehenden Angelegenheit geht es nicht um Lackschäden, sondern um die mit mehrheitlicher Zustimmung des Betriebsrats ausgesprochene Entlassung des oppositionellen Betriebsrats Emanuel Schaaf, der am 16.November letzten Jahres fristlos gekündigt wurde. Die Begründung: Schaaf habe sich in einer Sendung des Fernsehmagazins Report am 27.Oktober 87 „wahrheitswidrig und unsachlich“ über die Hoechst AG und den damaligen Unfall geäußert. Tatsache ist, daß in der Fernsehsendung ein nicht erkennbarer Hoechst-Beschäftigter mit technisch verzerrter Stimme an Hand des Unfalls über die unverantwortlichen Sicherheitsmängel im Griesheimer Hoechst-Werk berichtete und auf ähnliche Unfälle in der Vergangenheit hinwies.

Weil die Hoechst AG auf Grund der Anonymität des Interviewten keinerlei Beweismittel dafür vorlegen kann, daß ausgerechnet Schaaf diese kritischen Äußerungen verbreitet hat, handelt es sich bei der Entlassung des Betriebsrats um eine „Verdachtskündigung“ – eine juristische Konstruktion, die zwar im Gesetz nicht vorgesehen ist, die aber dennoch in der Arbeitsrechtssprechung unter bestimmten Umständen ange wendet wird. In aller Regel, so die herrschende Rechtsmeinung, reiche der bloße Verdacht auf einen Kündigungsgrund für den Rausschmiß nicht aus. Nur beim Verdacht strafbarer Handlungen oder bei „sonstigen schwerwiegenden Vertragsverletzungen bzw. grobem Vertrauensmißbrauch“, so heißt es in einem einschlägigen Rechtskommentar, könne eine solche „Verdachtskündigung“ ausgesprochen werden.

Natürlich ist sich die Werksleitung sicher, daß der Fernsehauftritt des anonymen Kritikers ein schwerer Vertrauensbruch und also ein Kündigungsgrund war. Auch über die Identität des Anonymus glaubt man inzwischen gesicherte Erkenntnisse zu haben, denn – so heißt es in einer Mitteilung an die Belegschaft vom 16.November 1987 – mittlerweile läge der Werksleitung eine wissenschaftliche Sprach- und Stimmenanalyse durch einen Sachverständigen vor, die alle Zweifel beseitige: „Bei der in der Report-Sendung aufgetretenen Person handelt es sich um das Betriebsratsmitglied Emanuel Schaaf.“

Wie auch immer: Ein inzwischen entstandenes „Solidaritätskomitee Emanuel Schaaf“ erklärte in einer Informationsschrift, daß die Hoechst AG in den letzten Jahren häufig versucht habe, Umweltskandale zu vertuschen und innerbetriebliche Kritiker mit Kündigung und anderen Repressalien zum Schweigen zu bringen. Es sei aber die Pflicht – insbesondere von Betriebsräten – die für Belegschaft und Bevölkerung bedrohlichen Schlampereien des Hoechst-Konzerns öffentlich zu machen. „Von daher ist es völlig unerheblich, ob Emanuel Schaaf der Anonyme war oder nicht.“ Es sei ein Skandal, daß durch die Möglichkeit von „Verdachtskündigungen“ das Grundrecht der freien Meinungsäußerung für Arbeitnehmer in Hinblick auf ihren Arbeitgeber eingeschränkt werde.

Den wirklichen Grund für die Kündigung Schaafs sieht das Komitee in seiner Aktivität als oppositioneller Betriebsrat. Schaaf arbeitet seit 1976 bei Hoechst- Griesheim. Bei der Betriebsratswahl 1978 verweigerte die IG Chemie dem kritischen, engagierten Gewerkschafter einen Platz auf der offiziellen Gewerkschaftsliste. Schaaf kandidiert seitdem auf einer Oppositionsliste, die bei den Wahlen 1981 und 1984 rund 30 Prozent aller Stimmen errang. Schaaf wurde zunächst von der Gewerkschaft mit Funktionsverbot belegt und später ausgeschlossen. Bei der Betriebsratswahl 1987 errang die Oppositionsliste mit 35 Prozent ihren bisher größten Erfolg und konnte sieben der 19 Betriebsratsplätze besetzen.

Die Mehrheitsfraktion der IG-Chemie-Betriebsräte sah in der Auseinandersetzung um den anonymen Fernsehauftritt offensichtlich eine Gelegenheit, einen profilierten Kritiker loszuwerden. Sie gab durch ihre Zustimmung zum Kündigungsbegehren der Geschäftsleitung letztlich den Ausschlag dafür, daß die fristlose Entlassung Schaafs wirksam wurde. Inzwischen haben drei Mitglieder der Oppositionsfraktion, die in der entscheidenden Sitzung dem Druck von Geschäftsleitung und Mehrheitsfraktion nicht standgehalten und dem Kündigungsbegehren gegen Schaaf zugestimmt hatten, öffentlich ihr Verhalten bedauert und sich erneut mit Schaaf solidarisiert.

Kontakt: Gustav Rentzing, St.Gilles-Str.21, 6050 Offenbach, Tel. 069/835285;Solidaritätskonto „Emanuel Schaaf“; BfG Frankfurt, Kto. 1513891200, BLZ 500 101 11.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen