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„Eine honorige hessische Firma“

Anmerkungen zur Firmengeschichte der Degussa, die jetzt die Hanauer Skandalfirma NUKEM in die „unternehmerische Obhut“ genommen hat /1873 gegründet überstand das Unternehmen die Nazizeit unbeschadet /Heute auch im Pharma-Bereich aktiv  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) – Hessens Umwelt- und Reaktorsicherheitsminister Karlheinz Weimar strahlte gestern vor Zufriedenheit. Mit der Übernahme der Hanauer Skandalfirma NUKEM in die „unternehmerische Obhut“ der Degussa AG, Frankfurt, habe eine „honorige und bodenständige hessische Firma“ das Heft in die Hand genommen, meinte der Minister. Der heutige Weltkonzern, der bereits 1955 ins Atomgeschäft einstieg und fünf Jahre später die Hanauer Atommutter NUKEM gründete, um die er sich – mittlerweile zum Minderheitsaktionär geworden – seit Montag wieder alleine kümmern darf, erlangte bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert internationale Bedeutung.

1873 hervorgegangen aus dem Frankfurter Scheidebetrieb Roessler, spezialisierte sich die Degussa im sich industrialisierenden Deutschland auf die Schwefelsäurescheidung von Gold und Silber für die Münzenherstellung. Degussa-Zweigwerke in Berlin und in Wien gingen der Gründung der „Tochter“ Metallgesellschaft AG/Frankfurt (1887) voraus, die für die Degussa Silbererze aus Spanien, Griechenland und Me xiko bearbeiteten. Kurz vor der Jahrhundertwende stieg die Degussa mit der Gründung der Elektrochemischen Fabrik Natrium GmbH ins Chemiegeschäft ein, das sich in der Folgezeit zum erfolgreichsten Zweig des Konzerns mauserte.

Mit der Gründung der Chemischen Fabrik Wesseling (1905) und der Beteiligung an der Norddeutschen Affinerie, an der die Degussa heute noch 40 Prozent hält, wurde die Firma einer der wichtigsten Vertragskonzerne für die deutsche Wehrmacht im Ersten Weltkrieg. Durch weitere Firmengründungen, Beteiligungen und Fusionen hatte sich die Degussa auf dem Chemiesektor zu einem der weltweit führenden Konzerne gemausert. 1933, zur „Machtergreifung“, klinkte sich die Degussa über eine Beteiligung an der Chemisch-Pharmazeutischen AG Bad Homburg auch noch in das Pharma-Geschäft ein. Ab 1938 arbeiteten fast alle Werke des Konzerns für Hitlers Raubkriegsvorbereitungen.

Es folgten „unternehmerische Engagements“ vor allem im osteuropäischen Raum und der Kauf weiterer chemischer Mittelstandsbetriebe in Ostdeutschland.

Gegen Kriegsende arbeitete die Degussa mit an der Realisierung der deutschen „Wunderwaffe“, und in ihrer Tochtergesellschaft Degesch wurde das Blausäure- Gas Zyklon-B hergestellt. Der Konzern stellte die Uranwürfel für den ersten deutschen Reaktor her, der – kurz vor Kriegsende – im Felsenkeller von Haigerloch „scharf gemacht“ werden sollte. US-amerikanische Spezialisten beendeten im April 45 den nazi-deutschen Reaktorbau.

Nach Kriegsende konfiszierten die Alliierten das gesamte Auslandsvermögen der Degussa. Das 1948 von den Alliierten eingeleitete Dekartellisierungsverfahren gegen die Degussa wurde allerdings durch die Gründung der Bundesrepublik vorzeitig been det. Die Firma stieg in den 50er Jahren wie Phönix aus der Asche auf und ins Atomgeschäft ein (NUKEM-Gründung). Auch international war die Degussa schnell wieder im Geschäft. 1973 Gründung der Degussa Alabama Inc. und Engagement in Südafrika (ab 1976).

1979 leistet sich der Konzern eine eigene öffentliche Bank, die Degussa-Bank, und beteiligt sich an südafrikanischen und australischen Uranminen. Das jüngste deutsche Kind in der Kette der Degussa-Firmengründungen ist die Degussa-Elektronik GmbH in Hanau, die 1985 gegründet wurde und der – ein Jahr später – der Einstieg ins Ostasien-Geschäft und der Ausbau des Pharma-Bereichs durch die Gründung der Degussa-Norden AB in Schweden folgte. Intensiv engagiert sich die Degussa heute in der AIDS-Forschung.

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