: Annäherung aus Enttäuschung
Seit vor nunmehr 25 Jahren Frankreich und die Bundesrepublik in ihrem feierlich vereinbarten Freundschaftsvertrag die Entwicklung einer gemeinsamen Militärstrategie beschlossen, ist außer heißer Luft kaum etwas bewegt worden. Dafür kam der Ausbruch aus dem bisherigen substanzlosen Ritual in den letzten Monaten umso heftiger. Spätestens seit dem Abschluß des INF- Vertrages führte die Angst, die USA könnten sich über die Köpfe der Europäer hinweg mit den Sowjets einigen, zu einer neuen Dynamik: Die Angebote wurden plötz lich dramatisch, der Schritt von der Rüstungs- zur Militärkooperation erstmals vollzogen.
Ein wesentlicher Motor dieser Entwicklung ist die Enttäuschung der deutschen Konservativen über die USA. Sie erhoffen sich von Frankreich nukleare „Zusatzgarantien“; die deutsch-französische Zusammenarbeit soll die Abschreckung stärken, die in ihren Augen nach dem Abzug der Pershing II und Cruise Missiles geschwächt sein soll. Wie – das bleibt noch vage. Erst am Mittwoch machte der CDU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger aus seiner Enttäuschung über die USA keinen Hehl, und in der „Schicksalsfrage“, die er an Frankreich richtete, lag unausgesprochen die Forderung nach nuklearen „Garantien“: „Wird Frankreich sich nur bedingt mit dem Schicksal seines östlichen Nachbarn, der Bundesrepublik Deutschland, identifizieren, nur symbolisch, nur mit Annäherungen, oder wird es Schlußfolgerungen aus der Erkenntnis ziehen, daß Frankreich nicht mehr verteidigt werden kann, wenn die Allianz in Deutschland geschlagen ist?.“
Allerdings wird die deutsch- französische Zusammenarbeit auch bei Dregger nicht als Alternative zur NATO gedacht: Das Ziel ist Reorganisation. Dasselbe gilt für Frankreich: Alle Initiativen zielen darauf ab, den Zusammenhalt der NATO und damit die amerikanischen Truppen und Atomwaffen in der BRD sowie eine Militärstrategie zu erhalten, die in irgendeiner Form auf atomarer Abschreckung beruht.
Daher bleibt alles, was bisher geschieht, noch immer eher im Rahmen der Symbolik: Die deutsch-französische Brigade ist kaum mehr als eine Defiliertruppe für Staatsbesuche: Sie wird aus 4.200 Soldaten bestehen. Die Bundeswehr-Soldaten kommen aus Teilen der in Böblingen stationierten Heimatschutzbrigade, die nicht der NATO, sondern dem Territorialheer unterstehen. Der französische Teil soll aus Frankreich kommen. Ein gemeinsamer Stab wird gebildet, und die Brigade soll gelegentlich zu Übungen ausrücken. Ein französischer Offizier wird zuerst Kommandeur. Da das Grundgesetz die Übertragung von sogenannten Hoheitsrechten an einen französichen Offizier verbietet, soll der französische Kommandeur aber keine „Befehlsgewalt“, sondern nur „Weisungsbefugnis“ haben. Damit versucht man, sich aus der delikaten Situation zu ziehen, die entstand, als der französische Verteidigungsminister die Forderung aufstellte, die französischen Soldaten der gemeinsamen Brigade müßten selbstverständlich unter dem „Schutz“ der französischen Atomwaffen stehen.
Für den geplanten Verteidigungsrat soll in Paris ein Sekretariat eingerichtet werden. Zweimal im Jahr sollen Treffen der Regierungschefs und/oder Minister stattfinden. Allerdings ist das im Grundsatz nichts Neues, da sich die Außenminister bereits heute zweimal jährlich im Rahmen der regelmäßigen Konsultationen treffen und der „Ausschuß für Sicherheit und Verteidigung“, der noch unter SPD-Kanzler Schmidt ins Leben gerufen wurde, politisch-strategische Fragen, die Militärzusammenarbeit und Rüstungskooperation erörtert.
Die offizielle Sprachregelung lautet denn auch, daß hier etwas „institutionalisiert“ werde, von dem dann „neue Impulse“ ausgehen sollen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei die sogenannten „prästrategischen Waffen“: In der Bundesregierung und CDU-Fraktion erhofft man sich von dieser „Institutionalisierung“, daß die Bundesrepublik bei der französischen Zielplanung ein Mitspracherecht bekommt: Die Hoffnung ist, daß die Deutschen die Zielplanung mittelfristig nicht nur einsehen, sondern auch beeinflussen dürfen. Offiziell heißt es allerdings nur: „Es wird Konsultationen über die prästrategischen Waffen geben.“ Und: „Wir respektieren die Unabhängigkeit der Franzosen.“ Ursel Sieber
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