: Folter ist nur für Ali schlecht
Das türkische Parlament wird in diesen Tagen die Anti-Folter-Konvention ratifizieren / Jedoch ist Folter in der Türkei immer noch an der Tagesordnung, wie der Wachmann Ali Karabacak am eigenen Leib erfahren mußte / Über die Mißhandlung empört, findet er dennoch das Foltern von anderen Angeklagten normal ■ Von Mehmet Yalcin
„Bei der Sicherheitspolizei wurde ich in ein Zimmer gezerrt. Dort haben sie meine Augen verbunden, mich dann wie eine Glühbirne an der Decke aufgehängt und mir an Händen und Füßen Stromstöße verpaßt. Drei Stunden hat diese Folter gedauert. Während der Stromstöße fühlten sich meine Knochen an, als würden sie gleich abreißen...“
Bislang haben Tausende politischer und normaler Angeklagter gegenüber Staatsanwälten oder Besuchern solche Aussagen gemachtund klagten die Polizei an, sie gefoltert zu haben. Dieses Mal ist es der Wachmann Ali Karabacak, Angestellter der Stadtpolizei, der dies bei einer Zeugenaussage vor dem Staatssicherheitsgericht in Istanbul erklärt...
Am 2.September 1987 hatte Ali Karabacak gegen fünf Uhr morgens wie jeden Tag um das Leprakrankenhaus im Istanbuler Stadtteil Bakirköy seine Wachrunde gedreht. Plötzlich bemerkte er im Dunkel der Nacht einige sich nervös bewegende Personen. Trillerpfeifen schrillten, alles rannte – auch der Wachmann Karabacak. Bis er sich plötzlich inmitten der Gruppe wiederfand. Da nützte es auch nichts, die Waffe zu ziehen: Er erhielt Prügel, und die Angreifer flüchteten mit seiner Pistole. Als er wieder zu sich gekommen war, erzählte er patrouillierenden Polizisten, was ihm zugestoßen war. Doch trotz aller Suche blieben sowohl die Angreifer als auch die Waffe spurlos verschwunden.
„Zwei Tage nach dem Überfall kamen ein paar Polizisten zu meiner Wache und nahmen mich mit. Dort wurde ich in einen Raum gezerrt. Sofort sagten sie: „Eine Frau hat ihre Finger in dieser Geschichte. Wer ist diese Frau? Sag!“ Ich sagte, eine Frau hätte damit nichts zu tun, aber sie glaubten mir nicht. „Du hast die Waffe verkauft und das Geld für eine Frau ausgegeben. Gib es zu“, sagten sie und begannen mit der Folter. „Sie haben sogar eine Frau hergebracht, die in einem Kindergarten arbeitet und geistig nicht ganz normal ist. Die Frau hat gesagt, sie kennt mich nicht, ich habe auch gesagt, daß ich sie nicht kenne, daraufhin haben sie mich freigelassen.“ Nachdem er eine Woche „wie betäubt verbracht hatte, weil ich den Schock dieses Ereignisses niemandem erzählen konnte“, suchte Karabacak ein Krankenhaus auf und ließ sich dort über die verbliebenen Folterspuren ein Attest ausstellen. In dem Bericht heißt es: „An den Fingern der lin ken Hand wurde Gefühllosigkeit, am rechten Arm Quetschungen und Fäulnisstellen festgestellt.“
Während der Wachmann Ali Karabacak noch dachte: „Jetzt entlassen sie mich“, erhielt er eine freudige Nachricht: Einige Personen, die bei Razzien gegen die linke Organisation Dev-Sol festgenommen worden waren, hatten sich zu dem Zwischenfall bekannt: „In jener Nacht wollten wir an der Fußgängerbrücke ein Plakat mit einer Bombe anbringen. Der Wachmann wollte uns daran hindern. Deshalb haben wir ihn verprügelt und ihm die Waffe abgenommen“, sagten sie. Aufgrund ihrer Aussagen wurde die Pistole des Wachmanns in einem Lager im Istanbuler Stadtviertel Bakirköy gefunden. Als Karabacak vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara als Zeuge in dem Prozeß gegen die Angeklagten auftrat, berichtete er zunächst, wie er seine Waffe verloren hatte und berichtete danach zum Erstaunen der Richter von seiner Folterung. Karabacak beschwerte sich zwar bei den Richtern über die Folter, die er erlitten hatte, hatte jedoch ansonsten gegen Folter nicht viel einzuwenden. Er gab zu, selbst ab und zu einen Angeklagten zu schlagen und erläuterte das gegenüber der Nokta: „Die Folter kann man nicht abschaffen. Ohne das sagt der Angeklagte beim Verhör nicht aus. Du erwischst den Mann beim Bankeinbruch, hinterher sagt er, er sei es nicht gewesen. Wenn du ihn nicht schlägst, wird er es nicht zugeben. Zuerst sagen sie nichts, aber nach ein, zwei Ohrfeigen oder Knüppelschlägen singen sie wie Nachtigallen... Auf der Wache wird normalerweise zu recht geschlagen“, sagte Karabacak. „Aber daß sie mich, einen eigenen Angestellten, foltern, das kann ich noch immer nicht verstehen...“
Wir übernahmen diese Geschuichte der türkischen Wochenzeitung Nokta vom 17.Januar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen