Its great to be Australian

Gestern feierte Australien die Landung von elf Booten voller Häftlinge vor genau 200 Jahren / Die Landeaktion der Briten gilt jetzt als Gründung der Nation / Donnernder Nationalismus / Schüchterne Demo von Aborigines: „Wir haben überlebt“  ■ Aus Sydney Bernd Müllender

Australien, das durch Känguruhs und Bumerangs so manch seltsame Bewegung gewohnt ist, erlebt in diesen Tagen ungewohnte Unruhen. Erst landete ein Ufo im Busch und überschüttete ein Auto mit Asche (eine Geschichte, der sogar die Polizei Glauben schenkte), dann erschütterte am Wochenende ein heftiges Erdbeben den Nordwesten. Aber gestern waren die Menschen in Down Under überhaupt nicht mehr zu bremsen: Es war „Australia Day“, der Höhepunkt der „Bicentennial“-Feiern zum 200. Geburtstag des Landes. Am 26.Januar 1788 landete die erste Ladung von 1.300 Sträflingen aus dem britischen Empire in der Botany Bucht von Sydney. Die Nachfahren der Häftlingsgeneration feiern jetzt die Landnahme – vom Knacki zum Aussie.

Sydney, die kosmopolitische Millionenstadt, wirkt so herausgeputzt, daß sie nicht nur sauber ist, sondern rein, alles Leben Richtung Hafen konzentriert, der vor Menschen überquoll, irgendwo in Millionendimensionen. Die historische „Erste Flotte“ von damals bestand aus elf Booten; sie sind als Nachbildungen eingeschifft worden, dazu eine Windjammerparade von genau 200 Segelschiffen, so hatte man gehofft, letztlich waren es immerhin 178. Drumherum Tausende, Zehntausende von Privatjollen – statt Wasser waren nur noch Masten zu sehen. Es war pure Optik, hochgradig fernsehgerecht für die Wohnzimmer der Welt – passiert ist sehr wenig. Für die Menschen waren Anblick und Anlaß eins. Wer immer etwas zu sagen hatte, übertraf mit seinem Statement den Vorredner an Stolz und Patriotismus. Aus den Radios dröhnte pausenlos pathetische Musik. „Its great to be Australian“: Der demonstrative Nationalismus nahm beachtliche Ausmaße an. Das offizielle Programm sagte nicht, wohin man gehen sollte, sondern „where to wave the flag“. So wurde aus der Stadt eine einzige Nationalflagge. Leider konnte die Riesenshow um die Vergangenheit nicht am Originalschauplatz zelebriert werden: In der Botany Bay herrschen heute zeitgemäßere Zustände; sie wird von der Landebahn des Internationalen Flughafens zerschnitten.

Zeitgemäßer waren auch die Briten, die 200 Jahre nach der Kolonialisierung nach Australien geschickt worden waren. Prinz Charles, der Außenminister des Hofes, war schon am Montag samt Lady Di (weiße Seide) eingeflogen worden, um ein Segelschiff als Bicentennial-Geschenk zu übergeben. Charliedi, angetreten um das immer stärker Richtung Amerika orientierte Australien an seine Commonwealth-Verpflichtungen zu erinnern, wurden wie ein Viermaster umjubelt. Am Montagabend mußten sie sich stundenlang mit Musik berieseln lassen (Di: Ufo-artiger Hut). A great Party, da waren sich alle einig, auch wenn einige Aborigines zu stören versuchten. Einzig ärgerlich, so monierte die Boulevardpresse, daß John Denver als nichtaustralischer Ami singen durfte. Mildernde Umstände allerdings, weil er ein Lied seiner australischen Freundin widmete. Gestern machte sich Charles dann endgültig beliebt: Australien ist ein Modell für die Welt. Dafür bekam Charles einen der beliebten Diggerhats aufs prinzliche Haupt gesetzt und Applaus und Tränen (Lady Di: Ufo-artig, diesmal in grün). „Tapfere Männer und Frauen haben ein Gefängnis zu ihrem Zuhause gemacht..., das sie heute für das schönste Land der Welt halten. Dagegen ist schwer zu argumentieren.“ Nach anderen Tränen war gestern den Aborigines zumute. Sie hatten Demonstrationen und Störungen angekündigt. Doch nur wenige konnten die Polizeisperren überwinden, ärgerten einige Redner und kippten ein Boot mit Touristen um. Viele trugen Stirn bänder „Ich habs überlebt“. Eine Demonstration von rund 20.000 Leuten, meist sympatisierende Weiße, in schwarzen Kleidern, blieb brav auf Distanz zum Hafen. Transparente wie „Ein weißes Land mit schwarzer Geschichte“ und „Laßt uns feiern – wenn wir es zusammen können“: die wenigen Aussies, die nicht den Marsch der Lemminge Richtung Segelboote mitgemacht hatten, nahmen es gelangweilt zur Kenntnis. Einen Park Sydneys erklärten die Aborigines zu ihrer Botschaft im weißen Australien. Die wahre Demo fand im Hafen statt, die Aborigines sind längst eine Minderheit im eigenen Land.

Australien war gestern nicht mehr bei Sinnen. Vorher aber gab es, auch unter den Weißen, durchaus kritische Stimmen. Was, fragten manche, ist eigentlich unsere Identität? Haben wir die Grenze zur Apartheid schon überschritten, oder immer noch nicht hinter uns gelassen? Und: Was feiern wir eigentlich? 200 Jahre was? Die Kommentare der Zeitungen zeigten sich aufgeklärt-liberal: Ja, wir haben das Land rücksichtslos kolonialisiert, die Eingeborenen aus Sport und Spaß dahingemetzelt; aber das sei ja längst Geschichte im neuen, modernen Australien. Was also feiern? Der Ex-Premier Malcolm Fraser: „Wir dürfen uns nicht mehr schuldig fühlen für die 200 Jahre alten Sünden“, befand er jetzt, von vielen bejubelt. Darüber hinaus hätten damals Engländer gemordert, und heute sei man doch in Australien.

Australien, das jahrhundertelang von so vielen Seefahrer aus Europa, selbst von allen Piratenschiffen, da unten auf der Weltkarte übersehen worden war, bis sich endlich die Briten des Kontinents annahmen, fühlt sich in diesen Tagen nicht mehr als Down Under. Hier ist man jetzt „up over“. Wir sind endlich wer. Dem Schiffsspektakel folgte am Abend ein gigantisches Feuerwerk, mit den unvermeidlichen 200 Böllerschüssen. Danach versuchte sich eine ganze weiße Nation kollektiv im Alkohol zu ertränken. Bei Redaktionsschluß war dieses Vorhaben noch nicht abgeschlossen.