: Das zähe Ringen um einen grünen Vorstand
In stundenlanger Sitzung und etlichen Wahlgängen hat sich die Bundestagsfraktion der Grünen einen neuen Vorstand gewählt / Gruppenkandidatur des „Sechser-Packs“ wurde abgeschmettert / Ein solider Arbeitsvorstand für die Talsohle der Grünen ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Acht Stunden und 18 Wahlgänge brauchte die grüne Bundestagsfraktion am Dienstag, um ihren Vorstand neu zu besetzen. Unter den insgesamt 19 KandidatInnen, die während der zähen nicht-öffentlichen Sitzung zu irgendeinem Zeitpunkt ihre Vorstands-Ambitionen angemeldet hatten, machten schließlich folgende das Rennen: Regula Bott, Christa Vennegerts und Helmut Lippelt als neue SprecherInnen, Hubert Kleinert, Charlotte Garbe und Ellen Olms als parlamentarische Fraktionsgeschäftsführung. Hubert Kleinert und Christa Vennegerts gehörten als RealpolitikerInnen bereits dem bisherigen Vorstand an; Charlotte Garbe, ebenfalls Realo, fiel politisch bisher nur als erbitterte Kritikerin Jutta Ditfurths auf und bezeichnet sich selbst „als Zufallsentscheidung“. Ellen Olms (Berlin) und Regula Bott (Hamburg) sind Ökosozialistinnen; Helmut Lippelt, Alt-Grüner aus Niedersachsen, zählt sich zur sogenannten Mitte.
Während sich im Bonner Restaurant „Haus am Rhein“ stundenlang die Presse vor verschlossenen Türen drängelte, vollzog sich drinnen eine äußerst komplizierte Aktion. Im Widerstreit lagen nicht nur die Versuche der einzelnen Strömungen, auf die Fraktion selbst Einfluß zu gewinnen, sondern – ausgesprochen und unausgesprochen – ging es auch um die Auswirkungen dieser Vor standswahl auf die Partei. Antje Vollmer hatte keinen Hehl daraus gemacht, daß die Gruppenkandidatur des sogenannten „Sechser- Packs“ um sie und Christa Nickels ein Modell auch für Parteivorstände sein könne. Ein Ausblick, der sowohl die Realos als auch die Mehrzahl der ÖkosozialistInnen in der Befürchtung bestärkte, diesem „Block der Ausgrenzung“ (Schoppe) gehe es um den Durchmarsch. Angekreidet wurde der Sechser-Gruppe auch später, daß sie ihre Beteuerung wahrmachte und für Einzelkandidaturen nicht zur Verfügung stand. Nach vierstündiger Debatte ließ die Fraktion in einem Meinungsbild das Vollmer-Projekt mit 16:23 Stimmen durchfallen. Antje Vollmer nannte das Ergebnis zwar enttäuschend, aber „ein beträchtliches Startkapital“ für das künftige Eingreifen.
Was dann folgte, war die Stunde der Taktiker in beiden Flü geln der Fraktion: Der harte Kern der Okösozialisten und die Realos wählten zumindest ihre HauptkandidatInnen wechselseitig mit; jedesmal ein Gewürge durch drei Wahlgänge, bis die nötige Stimmenzahl beisammen war. Jutta Österle-Schwerin, den Ökosozialisten nahestehend, die ohne Rücksicht auf taktische Finessen des Kuhhandels als Single ins Rennen gegangen war, schimpfte später, daß „die eigenen Genossen“ sie im Regen stehen gelassen hätten.
Auch Eckart Stratmann, der gegen Helmut Lippelt antrat, fiel gnadenlos durch. Gegen Ende des Wahl-Marathons, als die ohnehin weniger begehrten Posten der Parlaments-Geschäfte anstanden, ging manchen dann wohl der Überblick verloren: Ellen Olms und Charlotte Garbe entpuppten sich als Überraschungs-Waffe der jeweiligen Flügel.
Als „Absage an die Spaltungspolitiker“ wertete Alfred Mechtersheimer das qualvolle Ritual, dem sich Hubert Kleinert unterwarf: Obwohl ohne Gegenkandi dat, brauchte er drei Durchgänge, um wenigstens das Votum der Hälfte der Fraktion zu bekommen. Kleinerts Ausspruch vor Monaten „Wenn Schily geht, geht er nicht alleine“, klang jenen noch in den Ohren, die nun eine klammheimliche Freude über den Denkzettel per Urne nicht verbergen konnten.
Verärgert zeigten sich nach dieser Wahl-Schlacht jene Abgeordneten, die sich als „undogmatische Linke“ bezeichnen und das Modell „Sechser- Pack“ als Mitte- Links-Bündnis unterstützt hatten. Erika Trenz: „Wir fühlen uns von diesem Vorstand nicht repräsentiert.“ Ludger Volmer: „Die Fundis leben in diesem Vorstand auf Gnaden der Realos.“ Die nunmehr zwei Sitze für die Ökosozialisten (im alten Vorstand war nur Ebermann) verwechseln allerdings auch diese selbst nicht mit einem gewachsenen Einfluß in der Fraktion. Regula Bott: „Dieses Ergebnis ist durch die Verweigerung der Mitte zustande gekommen.“ Auf der anderen Seite ähnlich Otto Schily: „Antje hat einen großen Fehler gemacht. Einzelkandidaturen wären fairer gewesen.“ Helmut Lippelt, der sich nun als „Paten und Erben der Mittelgruppe“ bezeichnet, werden eher Integrationsfähigkeiten nach „rechts“ als nach „links“ nachgesagt.
Alles in allem ein Vorstand, der keine Euphorie aufkommen läßt – Alfred Mechtersheimers vergleichsweise optimistischer Kommentar: „Ein solider Arbeitsvorstand für die Talsohle der Grünen.“ Immerhin hatte bis gestern vormittag auch Charlotte Garbe eine Aufgabe gefunden: Sie will dafür sorgen, daß die Grünen bei Sitzungen vollzähliger präsent sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen