Kondome aller Länder vereinigt euch

Weltweiter AIDS-Kongreß in London plädiert für Aufklärung statt Diskriminierung /  ■ Von Rolf Paasch

Erstmals waren sie alle versammelt, um über die Bekämpfung eines Virus zu reden, der vor Ländergrenzen nicht halt macht. Auf Einladung der Weltgesundheitsorganisation WHO trafen sich Vertreter aus 145 Ländern zu einer Bestandsaufnahme und der Diskussion um globale Strategien gegen AIDS. Theoretisch waren sich alle einig, daß Repression nichts nützt. Praktisch sieht es jedoch sehr unterschiedlich aus.

Es war nicht nur die bisher größte Konferenz zum Thema AIDS, es war auch ein Riesen-Medienspektakel, was sich da drei Tage lang im flughafenähnlichen Innern des Londoner Queen Elisabeth-Center abspielte. Über 400 Journalisten balgten sich darum, mit möglichst vielen der 650 Delegierten aus 146 Ländern ein Interview zu bekommen; wenn möglich gleich mit einem der 116 anwesenden Gesundheitsminister. Während die Vertreter der asiatischen Staaten für das Medienvolk von geringem Interesse zu sein schienen, konnte sich Dr.Tharacisse Niyungaka aus Burundi (567 AIDS- Fälle) kaum der Gesprächsgesuche erwehren.

Obwohl auch die Präventivmaßnahmen in noch AIDS-freien Ländern von großer Wichtigkeit wären, konzentrierte sich das allgemeine Interesse in London auf die Verbreitung und Bekämpfung der Epidemie in der Dritten Welt, besonders in Schwarzafrika. „Es ist schon absurd, daß ich hier nach London kommen muß“, so sagte der Gesundheitsminister Ruandas (705 Fälle), „um mit meinem Kollegen aus Uganda zusammenzukommen.“ Dabei haben die Regierungen beider Ländern ähnliche Probleme, ihre Aufklärungskampagnen gegen die Verbreitung der Epidemie an die Bevölkerung zu bringen. Gerade von Uganda, wo die Regierung Musoweni eine vorbildliche AIDS- Kampagne begonnen hat, so ergänzte ein anderer schwarzafrikanischer Delegierter, „können wir eine Menge lernen“.

Denn nicht etwa die Führer der westlichen Welt sind es, die im Kampf gegen AIDS derzeit eine Führungsrolle einnehmen, sondern die Staatschefs Musoweni oder Kenneth Kaunda in Sambia (536 Fälle), die sich persönlich mit allem Nachdruck für Aufklärungskampagnen einsetzen. In den USA blockiert dagegen die Reagan-Regierung derzeit die Verteilung eines Anti-AIDS- Flugblattes, nur weil darauf das Wort „Kondom“ geschrieben steht.

AIDS entwickelt sich unterdessen – auch dies wurde in den ver schiedenen Beiträgen auf der Konferenz indirekt deutlich – mehr und mehr zu einer Krankheit der Armen, sei es in den Entwicklungsländern oder auch in den USA, wo der Anteil von AIDS- Opfern aus den ethnischen Minoritäten und Randgruppen deutlich höher ist als der nationale Durchschnitt. Obwohl von den 72.000 bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) registrierten AIDS- Fällen 80 Staaten gemeldet worden sind, sieht das Bild, auf Fälle pro Einwohnermillion umgerechnet, bereits ganz anders aus: In den USA kommen auf eine Million Einwohner 204 AIDS-Fälle, in Frankreich und der Schweiz, den europäischen Spitzenreitern, ganze 45 AIDS-Kranke. In der Karibik sind es dagegen bereits 1.100 in Französisch Guyana bzw. 1.300 auf den Bermudas. Und in Schwarzafrika liegt die Zahl der AIDS-Fälle um das Drei- bis Fünffache über den europäischen Vergleichswerten; und das trotz mangelhafter Diagnose- und Meldepraktiken in diesen Ländern. In seinem Land, so berichtet ein anderer schwarzafrikanischer Delegierter, sterben jährlich 5.000 Menschen an AIDS. Das sind auf die Bevölkerung umgerechnet fast zehnmal soviel wie in den USA. Aber auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten trifft die Krankheit zunehmend die Armen. Die AIDS- Rate unter den Einwanderern aus Mittelamerika ist dreimal so hoch wie der nationale Durchschnitt; wer schwarz ist, stirbt sieben bis acht Monate nach der AIDS-Diagnose, seine weißen Mitbürger leben noch ein bis anderthalb Jahre länger. Doch es gab in London auch Erfolgsgeschichten zu hören: die dramatische Änderung der Sexualpraktiken in der homosexuellen Gemeinde der USA, die zu einem drastischen Rückgang der Verbreitung des Virus unter Homosexuellen geführt hat; die bemerkenswerten Ergebnisse einer sensiblen und zwangsfreien Aufklärungskampagne unter den Prostituierten Kenias, von denen Elisabeth Ngugi von der Universität Nairobi berichtete; und positive Auswirkungen des unkonventionellen Umgangs mit Drogenabhängigen in Amsterdam.

Produkt „westlicher Dekadenz“

Während die Regierungen in den von der Epidemie betroffenen Ländern in den letzten Jahren viel gelernt haben, läßt die AIDS-Prävention in den Ländern, an deren Pforten die Krankheit gerade erst klopft, noch sehr zu wünschen übrig. Weder in China noch in anderen Ländern des Fernen Ostens scheint sich die Einsicht durchgesetzt zu haben, daß die Praktiken der traditionellen Seuchenbekämpfung bei AIDS versagen müssen. China (zwei Fälle) praktiziert weiter Zwangstests für bestimmte Gruppen bei der Einreise, und der sowjetische Delegierte ließ trotz aller zur Schau gestellten Aufgeklärtheit am Ende durchblicken, daß die sowjetische Gesellschaft (vier AIDS-Fälle) seiner Ansicht nach gegen das Produkt „westlicher Dekadenz“ immun sei; so, als genüge das staatliche Verbot von Homosexualität und Geschlechtskrankheiten zur Verhinderung der Virus-Verbreitung. Die Delegation Kubas (sechs Fälle), wo die Infizierten kurzerhand in AIDS-Kolonien isoliert werden, zog es dagegen vor, möglichst wenig aufzufallen. In diesen Ländern, so erklärte der Mitarbeiter des AIDS-Programms der WHO, Timothy Mooney, der taz gegenüber, müsse seine Organisation noch viel Überzeugungsarbeit leisten. „Was anderes bleibt uns in Bezug auf diese Staaten nicht übrig.“

Dennoch gab es in London niemanden, der zumindest den symbolischen Erfolg dieser Konferenz bezweifelte, die von Bundesministerin Süssmuth zu Beginn als „Schaufenster des internationalen Kampfs gegen AIDS“ bezeichnet worden war. Den „entscheidenden Fortschritt“ sah Prof. Manfred Steinbach von der bundesdeutschen Delegation in der weltweiten Anerkennung der Tatsache, daß zur AIDS-Bekämpfung nicht nur die Aufklärung über das Sexualverhalten gehört, sondern auch die Verhinderung der Diskriminierung. In der Tat mag die in London verabschiedete Deklaration zur AIDS-Prävention vielen Gesundheitsministern daheim im Kampf gegen die Gauweilers dieser Welt den Rücken stärken. Nicht nur Frau Süssmuth konnte ihren Heimweg zumindest mit einem Dokument im Reisegepäck antreten, in dem die Welt einstimmig der theoretischen Einsicht zugestimmt hatte, daß diskriminierende Zwangsmaßnahmen in einer effektiven AIDS-Bekämpfung keinen Platz haben dürfen.