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Die Schuld der Deutschen

Im Hamburger „Rieckhof“ diskutierten die Buchautoren Ralph Giordano und Helmut Kalbitzer, Jan Philipp Reemtsma und Klaus Bölling über „die Last mit der deutschen Vergangenheit“  ■ Aus Hamburg Ute Scheub

In deutschen Diskussionsveranstaltungen sind zwei Elemente äußerst selten: Daß sich die Generation der 18- bis 80jährigen, die sich hierzulande nur selten verstehen, zuhörend mischen, und daß sie hinterher in Grüppchen zusammenstehen, eifrig weiterdiskutierend. Das war ein wohltuendes Moment am Freitag abend im Hamburger Kommunikationszentrum „Rieckhof“, wohltuend gerade in der Härte des Themas: „Die Last mit der deutschen Vergangenheit“. Persönlich, subjektiv sollten die Podiumsdiskutanten von ihren eigenen Erfahrungen berichten, das hatten sich die Veranstalter und Moderator Ortwin Löwa vom NDR jedenfalls vorgestellt.

Dem Dokumentarfilmer und Buchautor Ralph Giordano, der sehr jung als sogenannter Halbjude die Greuel des Naziregimes zu spüren bekam, gebührte die Rolle des Initiators. Einen Abschnitt aus seinem Buch „Die zweite Schuld“ vorlesend erinnerte er daran, daß „dem größten Verbrechen der Weltgeschichte in der Bundesrepublik das größte Wiedereingliederungsprogramm für die Täter folgte“. Für NS- Richter zum Beispiel, die 32.000 Todesurteile fällten, ohne daß jemals einer sich verantworten mußte. Aber auch für die KZ- Mörder, die für Hunderte von Morden drei oder vier Jahre Zuchthaus bekamen. Giordano klagte in brillianten Formulierungen an und führte vergleichend den Fall Peter-Jürgen Boock auf, der für seine nicht mal nachweisbare Beteiligung an RAF-Morden im ersten Urteil dreimal lebenslänglich plus fünfzehn Jahre erhielt.

Für Giordano besteht die Tragödie aber auch darin, daß die großen und kleinen Täter, obwohl es nach 1945 möglich gewesen wäre, sich dennoch nicht bekannten. Doch das fanden die beiden Sozialdemokraten Helmut Kalbitzer und Klaus Bölling nur „stinknormal“, allerdings aus unterschiedlichen Motiven. Der alte Sozialist Kalbitzer, der seine Erfahrungen als Widerstandskämpfer unter dem Titel „Widerstehen oder mitmachen“ beschrieben hat, zeigte sich „sehr viel pessimistischer“ als Giordano: „Ich kann mir keine menschliche Gesellschaft vorstellen, die die moralische Kraft hätte, ihre Schuld zu bekennen.“ Er sah auch keine zweite, sondern „eine durchgängige Schuld“ und keinerlei Möglichkeit für seine Generation, sich aus der Verstrickung zu lösen: „Die erdrückende Masse der Deutschen war zumindest eine Weile lang Nazis. Mit wem hätten wir denn eine demokratische Gesellschaft aufbauen sollen? Erst als meine Generation an ihrem politischen Ende war, konnte sich ein neues demokratisches Selbstverständnis herausbilden.“

Klaus Bölling hingegen, die peinliche Figur des Abends, erging sich mit Vorliebe in männlich-abstrakten Allgemeinplätzen und tat alles, um die besondere Ungeheuerlichkeit des deutschen Faschismus zu verwischen. Auch andere Völker, wie die Amerikaner mit ihren Vietnam-Erfahrungen, seien unfähig zu trauern, sie seien „nicht grundsätzlich immer gegen Grausamkeiten“, und unter den Deutschen habe es ja genug Leute gegeben, „die bereit waren, Reue zu zeigen“.

Jan Philipp Reemtsma, Mäzen vieler Untersuchungen der deutschen und hamburgischen NS- Geschichte, widersprach und schlug zugleich den Bogen zwischen der postulierten „Einmaligkeit“ und „Normalität“: „Andere Völker haben kein Auschwitz zustande gebracht, sie haben sich auch nicht gleich zweimal an die Spitze der Welt setzen wollen. Das groteske Mißverhältnis zwischen Verbrechen und seiner Verleugnung ist stinknormal und in seiner Fallhöhe doch unglaublich.“

Auch Reemtsma, ein wenig linkisch, verdruckst, möchte nicht so genau ausführen, wo denn sein persönlicher Stachel sitze, der ihn zur Beschäftigung mit diesem belastenden Thema treibt. „Meine Familie war es nicht“, meinte er, obwohl ihm die Reemtsma-Spenden an Göbbels sicherlich in schlechter Erinnerung sind. Gefragt, ob die historische Erforschung der Rolle der Deutschen Bank oder von Daimler Benz durch das von ihm finanzierte Institut „nicht zu spät kommt“, fand er jedoch deutlich Worte: „Wenn ich die Geschichte der Euthanasie sehe, weiß ich, was ich einem Hacketal zu antworten haben, wenn ich die wahnwitzigen Architekturphantasien der Nazis für den Hafen sehe, weiß ich, was ich heute zur Hafenstraße sage.“

Die Wogen gingen noch einmal hoch, als Reemtsma an Klaus Böllings Formulierung in einer Spiegel-Rezension des Buches „Blinder Fleck“ erinnerte, mit Leuten wie Karl-Heinz Roth, Reemtsmas Mitarbeiter, lohne es keinerlei Dialog: „Sie sollten das noch einmal überdenken und an geeigneter Stelle zurücknehmen“. Bölling mochte aber nicht, Roth habe im Buch formuliert, die RAF müsse kämpfen bis zum Endsieg, Reemtsma wies das sehr ruhig als undenkbar zurück. Bölling, hochfahrend und immer schnell beleidigt, rächte sich an anderer Stelle: „Dickbrettbohren ist keine Tätigkeit, an der Intellektuelle und ihre Mäzene die reine Freude haben.“

Da mußte Giordano retten und ausgleichen: „Unsere Gegner sind mächtig, und ihre Macht kommt aus der deutschen Geschichte. Ich fürchte keinen neuen Faschismus, aber ein Aneinanderhochranken des Terrorismus und des Gegenradikalismus. Zimmermann ist eine öffentliche Gefahr.“

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