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Mansholt: „Wissenschaftler haben uns nicht gewarnt“

Der frühere langjährige Brüsseler Agrarkommissar übt heute Selbstkritik / Hearing am Rande der Grünen Woche über EG-Agrarexporte in Entwicklungsländer  ■ Von Ulli Kunkel

Oft wird in entwicklungspolitisch sensibilisierten Kreisen über die Verwerflichkeit der EG-Agrarpolitik und ihre Auswirkungen auf die Landwirtschaft der Drittwelt- Länder Klage geführt. Sie richtet sich zumeist gegen eine anonyme Masse Beamter in Brüssel, und wenn denn doch einmal ein Vertreter dieser Spezies zugegen ist, so kann sich dieser nach dem Prinzip der Gnade des späten Berufseinstiegs zumeist rechtfertigen mit einem „Die Fakten sind nun mal da, wir müssen sehen, wie wir da wieder herauskommen“.

Am vergangenen Dienstag war das alles anders. Da saß schlechthin der Mann der ersten Stunde vor dem Auditorium, das Brot für die Welt und Misereor am Rande der Grünen Woche geladen hatten. Sicco Mansholt, von 1958 bis 1972 Agrarkomissar der EG und Verfasser des berühmt-berüchtigten „Mansholt-Planes“ war einer der Sachverständigen eines Hearings „Überschüsse drängen auf den Weltmarkt – Markteroberung auf Kosten von Ernährungssicherheit“ mit dazugehörigen Experten und Jury, zu dem die beiden kirchlichen Entwicklungshilfe-Organisationen eingeladen hatten.

Doch anstatt den großen Buhmann abzugeben, erfreute sich Mansholt großer Zustimmung. Er bekannte sich schlicht zu den fundamentalen Fehlern der EG- Agrarpolitik, die immerhin von nicht wenigen für Hunger, Not und Tod vieler Menschen verantwortlich gemacht wird, und machte geltend, aus der Entwicklung gelernt zu haben. Er, dessen Plan für die Konzentration in der Landwirtschaft, die Verdrängung der kleinen Höfe und die Förderung gigantischer Produktivitätsüberschüsse stand, meint heute: „Was wir nicht vorausgesehen haben, ist das starke Produktivitätswachstum“, das nun die gigantischen Überschüsse produziere, mit denen man den anderen Ländern zur Last falle, weil nunmehr deren Märkte durch subventionierte Exporte überschwemmt würden.

Allerdings ist seiner Ansicht nach nicht die von der EG beeinflußte Preisentwicklung in der Landwirtschaft für die Überschüsse verantwortlich. Die Erzeugerpreise seien schließlich von 1970 auf 1985 um ein rundes Sechstel gefallen. Vielmehr seien es die ungeheuren Mengensteigerungen, „vor denen uns damals die Wirtschaftswissenschaftler nicht gewarnt haben, die ja auch den Crash am 19. Oktober nicht vorhersahen“.

Der mittlerweile 79jährige Mansholt, der in der Einladung zum Hearing etwas überschwenglich als inzwischen „ökologisch engagierter Aktivist“ benannt ist, plädiert heute für Flächenstillegungen, um der Überkapazitäten Herr zu werden. Mansholt denkt dabei, anders als Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle, an Größenordnungen von 15 Prozent, die allerdings nicht über entsprechende Preissenkungen erreicht werden könnten: „Das hieße die Bauern über den Friedhof jagen“. Seiner Ansicht nach müßten entsprechende Flächen aus dem Verkehr gezogen werden, und zwar in Regionen intensivster Bewirt schaftung und bester Böden. Ist erstmal die Produkionsdrosselung erreicht, so könnten auch die Preise entsprechend angehoben werden, flankierend könnte er sich auch eine Abschottung von billigen Importen vorstellen. Die „Ausfuhrposition“ kann nach Mansholt jedenfalls nicht gehalten werden.

Was nun diese Ausfuhrposition der EG (66 Milliarden DM gegenüber 99 Milliarden Einfuhr, unterm Strich also nach wie vor ein Agrarimportüberschuß) in den Ländern der Dritten Welt anrichtet, das war das Thema auf dem ganztägigen Hearing in den klimatisierten fensterlosen Räumen des Berliner ICC, in denen sich über Ackerbau und Viehzucht so gut debattieren läßt wie über Alpenveilchen im Raumschiff Enterprise. Für Max Zurek vom Bauernverband war es ein Leichtes, auch mal schlimme Auswirkungen der Marktüberschwemmungen durch EG-Produkte einzugestehen, wenn nur festgehalten werde, daß es die USA und auch Japan noch weit schlimmer trieben.

Ohne Subventionen liefe nämlich beim Export gar nichts, das sei nun mal „systembedingt“ und daher für ihn auch „kein Problem“. Ein Problem seien allenfalls die hohen Kosten der Subvention. Die Weltmarktpreise könnten die EG jedenfalls nicht beeinflussen, da man „nur über einen Marktanteil von 12,5 Prozent“ verfüge. „Zur Aufrechterhaltung des Handels müssen wir eben exportieren“ meinte der Bauernvertreter des Landes, das gerade erst mit der Vorlage der Dezemberzahlen den Spitzenplatz unter den Ausfuhrstaaten der Welt bestätigte.

Nicht ganz zu Unrecht pflichtete ihm allerdings Professor Dieter Kirschke vom Berliner Institut für Agrarentwicklung bei: Der schwarze Peter liege bei den Regierungen der entsprechenden Entwicklungsländer. Wenn denn dort die Bauern und die Nahrungsmittelproduktion durch billige subventionierte Importe aus der EG gefährdet seien, so könnte doch die jeweilige Regierung durch Abschöpfungen an der Grenze den hohen Preis im Lande erhalten und das gewonnene Geld obendrein noch in landwirtschaftliche Entwicklungsprojekte stecken.

Für Axel Stahlmann vom Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) ist die agressive Markteroberungsstrategie der EG „weder Zufall noch von Hintermännern so geplant“. Insbesondere durch den Export von billigem Magermilchpulver, aber auch beispielsweise von Nudeln, habe die EG-Vermarktungsbürokratie in den Ländern der Dritten Welt jedenfalls künstliche Nachfrage geschaffen und über diese neuen Abhängigkeiten auch „politische und strategische Interessen“ verfolgt, wie inzwischen auch von offizieller Seite bestätigt wird.

Im übrigen könne die EG-Überschußproduktion nur bewerkstelligt werden, weil aus der Dritten Welt äußerst billige Futtermittel importiert würden, die dort auf Kosten der Nahrungsmittelherstellung Ackerfläche und andere Ressourcen beanspruchen. Jury- Mitglied Fides Krause-Brewer vom ZDF, stets für eine Weisheit aus dem volkswirtschaftlichen Lehrbuch gut, fragte daraufhin mahnend, was denn die Drittweltländer sonst ausführen sollten, denn Export müsse schließlich sein.

In echter Bedrängnis wähnte jedoch mancher den BUKO-Vertreter, als Professor John Igue aus Benin meinte, die Lebensmittellexporte aus der EG in sein Land seien noch viel zu teuer. Benin müsse 30 Prozent des Haushaltes dafür ausgeben und Nigeria 15 Prozent: „Das ist die Abhängigkeit“. Man könne besser leben, wenn die Lebensmittel billiger seien. Längerfristig müsse man aber die Agrarpolitik umstrukturieren. Und auch der Handelsattache der durch einen Handelsvertrag mit der EG verbundenen „AKP-Staaten“ aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik, Peter Gakunu, meinte, die Lebensmitteleinfuhren müßten zunächst noch billiger werden, bevor man darangehen könne, die eigene Landwirtschaft anzukurbeln.

An die Bauern im Lande denken beide sichtlich nicht zuallererst, wenn es um die Berechtigung subventionierter EG-Exporte in die Dritte Welt geht. Das durchweg drittweltsolidarisch gestimmte Publikum verweigerte etwas perplex beiden Afrikanern den Beifall. Stahlmann blieb trotz dieser Äußerungen bei seiner Haltung: Es komme darauf an, ob die Stimme aus der Dritten Welt von staatstragender Seite oder von Nichtregierungs-Organisationen komme. Im übrigen habe auch der BUKO nichts gegen Katastrophenhilfe im Ernstfall einzuwenden.

Einzig der Brasilianer Candido Grzybowski, der mit den Kleinbauern seines Landes zusammenarbeitet, erklärte, daß das „Preisdumping und die aggressive Markteroberung der Industrieländer“ abgeschafft gehöre, gleichzeitig aber auch der Kampf gegen die herrschende Klasse in Brasilien aufgenommen werden müsse.

Da gab es fast so viel Beifall wie für den reuigen Agrarkomissar Mansholt.

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