: Kirche und Staat – Zweckbündnis auf Zeit
„Keinerlei Druck“ habe die DDR- Justiz auf die Gefangenen ausgeübt, um deren Ausreise in die Bundesrepublik zu erreichen, erklärte der in Ost-Berliner Kirchenkreisen beliebte Rechtsanwalt Wolfgang Schnur am Dienstag abend vor mehr als 800 Zuhörern in der Friedrichsfelder Kirche. Krawczyk und Klier hätten aus freiem Willen die DDR verlassen, führte Schnur aus und rief dabei tiefe Enttäuschung bei den Zuhörern hervor. Es gebe „eindeutig persönliche Gründe von Freya Klier“, die sie zur Ausreise bewegt hätten, Krawczyk habe sich ihrer Entscheidung dann angeschlossen. Aber auch allen anderen Gefangenen sei im Beisein des evangelischen Bischofs Gottfried Forck gesagt worden, sie hätten ebenfalls Gelegenheit, in die Bundesrepublik oder nach West-Berlin entlassen zu werden.
Dagegen ist nach den Worten des Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe nicht damit zu rechnen, daß alle beabsichtigten Freilassungen schon bis zu diesem Wochenende realisiert werden könnten, wie dies vom „Beauftragten für humanitäre Fragen“, Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, am Dienstag ausgedrückt worden war.
Enttäuscht und betroffen reagierten viele der Zuhörer auf die gemachten Andeutungen über die Freiwilligkeit der Ausreise der beiden Symbole der Ost-Berliner Friedens- und Menschenrechtsbewegung. Dabei stellt sich jedoch auch die Frage, welche Rolle die Kirche bei diesen Verhandlungen eigentlich gespielt hat. Sind die Kirchenvertreter mit dem entstandenen Konmpromiß zufrieden? Hat sich die Kirche wirklich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für den Wunsch derer eingesetzt, die wieder in die DDR entlassen werden wollten? Es drängt sich die Vermutung auf, daß Staat und Kirche in Verbindung mit Bonn den Konflikt einvernehmlich lösen wollten. Auf der Strecke blieb die politische Identität der Gefangenen.
Für diese Annahme spricht auch, daß die DDR-Führung es tunlichst vermieden hat, die Kirche publizistisch oder politisch anzugreifen, obwohl doch überhaupt erst unter dem Schutz der Kirche die Protestbewegung sich entfalten konnte. Indem aber Stolpe für die Zukunft davon ausgeht, so jedenfalls drückte er sich am Dienstag aus, daß der Dialog mit ausreisewilligen DDR-Bürgern geführt werden müsse, könnte der Kirche neben der bisherigen stabilisierenden Rolle eine neue Ventilfunktion zuwachsen. Die Grenzen für die kirchliche politische Tätigkeit sieht das Zentralorgan der CDU in der DDR, die Neue Zeit, in ihrer neuesten Ausgabe in Aktivitäten, die über das hinausgeht, „was ihre Sache ist“. Das Blatt zitiert aus einer Stellungnahme des Kirchenvorstandes der Gnadengemeinde in Leipzig, in der von „gezielten Provokationen“ sowie einer „falsch verstandenen Solidarität gegenüber Außenseitern“ die Rede ist. „Die prinzipielle, in ihrem Auftrag liegende Offenheit der Kirche für alle Menschen wird gröblichst mißbraucht, wenn sie für politische Vorstellungen herhalten soll, die so keinen Boden bei uns haben“, erklärt das Blatt.
Welcher „Bodensatz“ gemeint ist, drückt das Zentralorgan der FDJ, Junge Welt in einem Kommentar aus. Sich auf Krawczyk beziehend, drückt der Kommentator ein Lob zunächst auf alle diejenigen kritischen Künstler aus, „die sich fordernd als Mitstreiter in die Entwicklung unseres Landes einbringen.“ Kritik, die auf ein gemeinsames Vorankommen ziele, schließe aber auch Selbstkritik ein. In diesem Punkt habe sich Krawczyk als anfällig erwiesen. Er sei zur offenen Hetze übergegangen, habe Beleidigungen gegen den Staat geschürt und sich „anmaßend über allgemein anerkannte Formen eines kulturellen Umgangs miteinander“ gezeigt. Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen