: Hamburg: Testballon unter Druck
Haushaltsberatungen bringen sozialliberale Koalition in große Schwierigkeiten ■ Aus Hamburg Florian Harten
Der gestrige Tag war erst wenige Minuten alt, da steuerte das auch von Bonner SPD- und FDP-Strategen als bundesweiter Testballon verstandene Hamburger Politbündnis in eine neue, ernste Krise. Kurz nach Mitternacht verabschiedete der SPD-Landesvorstand nach heftiger sechsstündiger Debatte ein elfseitiges Positionspapier, mit dem er massiv in die gegenwärtig laufenden Haushaltsberatungen eingreift.
Das Chaos war perfekt: Obwohl die SPD am Sonntag im Koalitionsausschuß, dem gemeinsamen SPD/FDP-Parteigremium, und dann am Montag in den Haushaltsberatungen des SPD/FDP- Senats einem gemeinsam verabschiedeten Haushaltskonzept zugestimmt hatte, kündigte der Landesvorstand jetzt plötzlich wesentliche Punkte dieses Konzeptes wieder auf: So soll der Verkauf der städtischen Gaswerke an die städtischen Elektrizitätswerke (HEW) platzen, der Verkauf von HEW-Aktien an Private soll unterbleiben.
Vor allem aber: Der Koalitionssenat soll „im Windschatten Stoltenbergs“ (so SPD-Landeschef Ortwin Runde zur taz) neue Schulden machen, um Hamburgs Finanzen über die Runden zu bringen.
Die Stadt, obschon nach wie vor reich, befindet sich nicht zuletzt dank der Deflationspolitik der Bundesregierung in einer Finanzkrise von gewaltigen Ausmaßen, die – angesichts von bereits 14 Prozent Arbeitslosen und 120.000 Sozialhilfeempfängern – einige städtische Finanzpolitiker an „die Situation in der Weimarer Republik“ erinnert.
Da die Spielräume für städtisches Sparen begrenzt sind (Beamte kann man nicht feuern, Entlassungen im öffentlichen Dienst würde die SPD politisch nicht überleben, Sozialhilfeleistungen sind gesetzlich vorgeschrieben), bleiben zur Deckung der Milliardenlöcher im Stadthaushalt nur die Alternativen: Steuer erhöhen, Schulden machen und städtisches Vermögen veräußern. In den bisherigen Verhandlungen war es der FDP gelungen, ihre Vorstellungen weitgehend durchzusetzen, obwohl bei der Wahl am 17.Mai 1987 gerade 6,5 Prozent der Wähler für die FDP, immerhin schon wieder 45 Prozent für die SPD gestimmt hatten.
Die FDP verweigerte sich Steuererhöungen (Grundsteuer), hielt aber an ihrem Wahlgeschenk Gewerbesteuersenkung fest. Neue Schulden sollten überhaupt nicht gemacht werden, dafür aber allein 1988 rund 700 Millionen Mark aus dem Verkauf städtischen „Tafelsilbers“ (Politslang für „städtischen Besitz“) erlöst werden.
Die SPD-Vertreter in Koalitionsausschuß und Senat hatten diesem Modell unter Anleitung des SPD-Bürgermeisters Dohnanyi auch zugestimmt. Jetzt pfeift der SPD-Landesvorstand sie zurück. Ob sich die FDP aus den bereits eroberten Stellungen noch einmal wird vertreiben lassen, ist unklar.
Klar ist dafür: Weder FDP noch SPD sehen eine Alternative zum bestehenden Bündnis. Rot-grün hat derzeit keine Chance, eine CDU/SPD-Koalition verbietet die Bundes-SPD, CDU und FDP sind zusammen in der Minderheit. Immerhin: Ganz unverhohlen geben SPD-Vertreter schon jetzt zu, daß sowohl die CDU als auch selbst die GAL weit bequemere Partner wären.
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