: Die realexistierende Mafia
■ Der Genosse als Pate: In der Sowjetunion treibt das organisierte Verbrechen kuriose Blüten
Im Landhaus des ersten Sekretärs der KPdSU von Buchara, einer der wichtigsten Städte der usbekischen Sowjetrepublik, geht ein Fest zuende. Mit den entsprechenden Besäufnissen und der Übergabe der Geschenke an den Paten.
Als die letzten Gäste weggefahren sind – es ist gegen sechs Uhr Morgens – nähert sich ein Wagen den Wachposten: „Noch ein Geschenk für Karimow“, erklärt der Fahrer und fährt weiter. Karimow – etwas verstört, aber noch immer wach – öffnet selbst. Die neuen Gäste legen ihm Handschellen an und packen ihn in den Wagen. Dann rasen sie wieder ab. Die Wachen schlagen sofort Alarm, aber der Wagen, der Karimow „entführte“, blieb in der ersten Kurve stehen, wechselte die Nummernschilder aus und konnte so ohne große Probleme entkommen.
Scheinbar eine Entführung, in Wahrheit eine Verhaftung. Karimow ist einer der mächtigsten „Paten“ der usbekischen Mafia, ihm steht eine ganze Phalanx von Killern zur Verfügung, und die „Sondereinheit“ war nicht übertrieben vorsichtig. Abduwachid Karimow wurde am 7.Juni vergangenen Jahres zum Tode verurteilt. Die Grundlage dazu lieferten die Beweise, die Telman Gdljan, ein eigens aus Moskau angereister Richter, liefern konnte. Die Justiz und Verwaltung am Ort war völlig korrupt, eine Mafia.
Die Verhaftungsszene war in der Prawda vom 23.Januar zu lesen. In einem langen Artikel, der sich über den Stand des Kampfes ge gen die Kriminalität in Usbekistan ausläßt. Die zentralasiatische Sowjetrepublik ist seit vier Jahren Schauplatz der unglaublichsten Säuberungsaktionen der Geschichte der UdSSR. Vor einigen Tagen veröffentlichte die Literaturnaja Gazeta die Geschichte Achmagian Adylows, eines lokalen Bosses, der sich ein Gefängnis für seine persönlichen Feinde hatte bauen lassen und seine Provinzregion unangefochten tyrannisieren konnte. Es handelt sich dabei um keinen Einzelfall.
Praktisch ist ganz Usbekistan in einem Netz aus Verbrechen und Korruption gefangen, geknüpft von denen, die die Prawda „moderne Emire mit dem Parteibuch in der Tasche“ nennt. Die Untersuchungen gegen diese Mafia begannen 1983 noch unter Andropow und führten damals zur Aufdeckung des großen Baumwollbetrugs und sie sind bis heute nicht abgeschlossen. Usbekistan produziert mehr als die Hälfte der Baumwolle der UdSSR. Jedes Jahr rundeten die Bosse der Republik in den Abrechnungen die Erträge um eine Million Tonnen auf. Die Zentralregierung zahlte brav. Dank dieser einfachen Maßnahme, die natürlich nur durch ein ganzes Netz von Absprachen möglich war, haben die „Baumwollmagnaten“ dem Staat vier Milliarden Rubel gestohlen.
Die Untersuchung des Richters Gdljan kam zunächst nur mühsam voran. Es handelte sich nur um kleine und mittlere Fische, die er erwischte. 1986 zum Beispiel wurde ein ehemaliger Baumwollminister Usbekistans zum Tode verurteilt. In Fahrt kam die Sache, als die „Spezialeinheit“ weiter oben zuzuschlagen begann. Zeugen wurden eingeschüchtert, Bestechungsversuche unternommen – „Ich zahle dir eine Million, wenn du mich vor ein usbekisches Gericht stellst“ – und auch ein Attentatsversuch, der freilich schon in frühem Stadium aufgedeckt wurde.
Als es soweit war, setzte sich das Zentralkomitee der KPdSU für den Richter ein und so konnte Gdljan verschiedene Mitglieder des Sekretariats der usbekischen KP, zahlreiche Erste Sekretäre der regionalen Parteigliederungen, den Präsidenten des Ministerrates Usbekistans, den Vizepräsidenten des Präsidiums des Obersten Sowjets der Republik, den Innenminister und drei seiner Stellvertreter, zahlreiche Polizeichefs in den Regionen, Bezirken und Städten überführen.
Es versteht sich freilich von selbst, daß eine so große kriminelle Vereinigung ohne Beziehungen nach noch weiter oben nicht hätte bestehen können. Bis 1983 war der Parteichef der Republik Usbekistan Sharaf Rashidow, einer von Breschnews treusten Statthaltern. Im Prawda-Artikel gibt es einen Hinweis darauf, wie weit oben man nach den Protektoren der usbekischen Mafia suchen muß. Unter den Verhafteten befindet sich auch der „Erste Stellvertretende Innenminister der UdSSR“, den die Zeitung nicht beim Namen nennt. Es handelt sich um Jurij Churbanow, den Ehemann von Galina Breschnewa, den Schwiegersohn des ehemaligen Generalsekretärs der KPdSU, Leonid Breschnew. Fabio Squillante imCorriere della Sera
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