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Kandidatentest in Middlewest

Die USA, und damit die Welt, blicken auf Iowa: Dort fanden gestern die ersten Vorwahlen zur Kandidatenkür für den Präsidentschaftswahlkampf statt In Ställen, Scheunen und Fabriken bemühen sich die Bewerber um die Gunst der Medien / Die ersten Ergebnisse sind erst heute im Laufe des Tages zu erwarten  ■ Aus Washington Stefan Schaaf

Gestern wiederholte sich im US- Bundesstaat Iowa ein bizarrer Vorgang, auf den die BürgerInnen dieses Farmerstaates im Mittleren Westen alle vier Jahre teils mit Schrecken, teils mit Neugier warten. Nach dem Dinner und den Abendnachrichten, den klirrenden Minusgraden der Winternacht trotzend, begaben sie sich in Turnhalle, Gemeindesaal oder örtliche Kirche. Dort fanden dann den ganzen Abend lang die „Caucuses“ statt. Das ist jene ursprünglich basisdemokratische Prozedur, in der sich die Iowaner dafür entscheiden, welchem demokratischen und welchem republikanischen Präsidentschaftsbewerber sie den Vorzug geben. Abstimmen darf jeder, der sich vorher als Parteimitglied eingeschrieben hat.

Iowa stellt nur 58 der mehr als 4.000 Delegierten für den Parteitag der Demokraten, der Mitte Juli in Atlanta stattfinden wird; lediglich 34 dieser 58 werden vom Resultat der „Caucuses“ bestimmt, die übrigen von den Führungsgremien der Partei. Mehr als seltsam mutet es deswegen an, wenn den Ergebnissen vom Montagabend nationale Bedeutung beigemessen werden und wenn 3.000 Journalisten nach Des Moines, der Hauptstadt Iowas, einfallen, um über die ersten Resultate Bericht zu erstatten. Doch Iowa ist der erste Bundesstaat, in dem die Wähler selbst gefragt werden. Nach Hunderten von Umfragen über die Popularität der Kandidaten und ihrer seit Jahr und Tag laufenden Kampagnen geht es von nun an um die Wurst: Iowa am 8.Februar, New Hampshire folgt am 16., und drei Wochen später, am 8.März, findet der große und wohl vorentscheidende Test in gleich 20 südlichen Bundesstaaten statt – der sogenannte „Super Tuesday“.

Fragwürdiges Testlabor

Iowa ist das Testlabor der Kandidaten: Wer hier einen Überraschungserfolg erzielt, erhöht seine Chancen für New Hampshire, wer auch dort unerwartet siegt, ist sich bis zum „Super Tuesday“ konstanter Aufmerksamkeit der Medien sicher – und ohne den hilfreichen Multiplikatoreffekt der Zeitungen und des Fernsehens würde das Mammutvotum der Südstaaten zur unüberwindbaren Hürde. Iowa sei ein ungünstiger Testmarkt für die Präsidentschaftsbewerber, sagen Kritiker dieses regelmäßig wiederkehrenden Politzirkusses. Der Staat sei sozial und politisch unrepräsentativ, zuviele Senioren, zuviele Farmer, zuviele Weiße und zuviele politisch liberal gesinnte Stimmberechtigte, deren Verhältnis zur Sowjetunion mehr von deren Konsum amerikanischen Getreides als von deren Behandlung unruhiger Dissidenten abhängig sei. Darüber hinaus sind es nur etwa zehn Prozent der registrierten Wähler, die sich an den „Caucuses“ beteiligen. Gary Harts Anfangserfolg in der Kampagne von 1984 kam mit einer Mehrheit von ganzen 9.000 Stimmen zustande, die ihn über Monate zum gefährlichsten Rivalen Walter Mondales machten. Doch bis die Parteien sich ein neues Nominierungssystem ausdenken, sind Kandidaten und Medien darauf angewiesen, das Iowa- Spiel mitzuspielen. Längst hat es eigene Regeln entwickelt, umfangreiche Wahlkampfstäbe und hochbezahlte Spezialisten entwickeln immer ausgefuchstere Strategien, wie auch noch der letzte Schweinezüchter zu begeistern ist – zum Beispiel, indem der Kandidat in seinem Schweinestall eine Pressekonferenz über landwirtschaftliche Fragen gibt und sich anschließend mit einem rosigen Ferkel auf dem Arm den Fotografen stellt. Andere Kandidaten lassen sich beim Robben über den Fußboden eines Kindergartens ablichten. 900 Tage verbrachten die dreizehn demokratischen Kandidaten in Iowa.

Symbiose mit der Presse

Selten war der Wettbewerb in beiden Parteien so offen wie in diesem Jahr. Entsprechend spannend verspricht das Spektakel für die Reporter zu werden, die längst von Beobachtern zu Mitspielern geworden sind. Beide Seiten sind eine Symbiose eingegangen – die Medien sind für die Präsidentschaftsbewerber so wichtig wie die Kandidaten für die Medien. Ohne die kostenlose Sendezeit in den Abendnachrichten und Politmagazinen wäre ein landesweiter Wahlkampf gar nicht zu führen. Spätestens am „Super Tuesday“ kommt es darauf an, bei möglichst vielen WählerInnen in möglichst vielen Staaten bekannt zu sein. Flächendeckende Werbespots sind ein – jedoch sehr teurer – Weg zu diesem Ziel, doch ein billigeres und besseres Mittel, sich bekannt zu machen, ist ein guter Gag oder guter Spruch im rechten Moment. Walter Mondale landete 1984 einen großen Hit, als er auf Gary Harts inhaltsleere Formeln mit der Frage „Gary, wo ist denn das Fleisch?“ konterte, eine Anleihe bei einem damals populären Hamburger-Werbespot.

Bis der Spruch des Jahres gefunden ist, bleibt den Kandidaten nur der Kampagnen-Alltag, 15stündige Ochsentouren kreuz und quer durch Iowa in einer zweimotorigen Propellermaschine, unzählige Bettelanrufe bei potentiellen Spendern, denn eine Kampagne kostet als erstes einen Haufen Geld, und der ständige Kontakt mit einem Stab von Pressesprechern und Ghostwritern, Medienberatern und Buchhaltern, Freiwilligen-Trupps und „Themenkoordinatoren“ – wobei letztere die einzigen sind, die wissen, was der Kandidat eigentlich anders machen will, falls er tatsächlich ins Weiße Haus gewählt werden sollte. Doch wichtiger sind einstweilen die Image-Tüftler, die dafür sorgen, daß der Kandidat im TV gut rüberkommt, die Gesten und Mimik einüben und im Ernstfall die Frisur korrigieren oder die zu blassen Augenbrauen nachdunkeln lassen. Die Konkurrenz ist hart, und bisher fehlt zumindest auf Seite der Demokraten ein Spitzenreiter.

Demokratische Vielfalt

Drei Bewerber liegen in Iowa bei den Umfragen vorn – mit jeweils rund zwanzig Prozent der Stimmen. Richard Gephardt rechnet sich Chancen auf einen knappen Sieg aus, dank seiner Fleißarbeit (er zog fast 150 Tage durch die Scheunen und Ställe Iowas) und seiner Beschwörung der Probleme der Farmer, Senioren und Fabrikarbeiter. Sein zentrales Thema ist das Handelsungleichgewicht zwischen den Ländern Südostasiens und den Vereinigten Staaten. „Wenn die Firma Chrysler ein Auto, das hier 10.000 Dollar kostet, in Südkorea auf den Markt bringen wollte, müßte sie dort wegen der Steuern und Importzölle 48.000 Dollar verlangen“, wiederholt er auf jeder Veranstaltung, während ein südkoreanischer Import-Kleinwagen in den USA schon für knapp 6.000 Dollar zu haben ist. Gephardt hat einen nach ihm benannten Gesetzentwurf im Kongreß eingebracht, durch den ungerechte Handelspraktiken bestraft würden. Von Ökonomen wird dieser Vorschlag kritisiert, denn nur 15 Prozent des Handelsdefizits gehen auf unfaire Praktiken anderer Länder zurück. Budgetdefizite, Steuererhöhungen und die Gefahr einer Rezession sind für die Wähler während der parteiinternen Ausscheidungen wesentlich interessantere Themen als außenpolitische Fragen. Bei den Demokraten herrscht über letztere weitgehend Einigkeit: keine Militärhilfe für die Contras, keine Stationierung von SDI, dafür aber Kürzungen im Pentagon-Haushalt.

Auch Paul Simon, Senator aus Illinois, glaubt, in Iowa gewinnen zu können. Wie Gephardt stammt er aus einem Nachbarstaat und genießt damit einen gewissen „Heimvorteil“. Simon pflegt sein Image als traditioneller, ja altmodischer Demokrat im Stil der sechziger Jahre, als die Partei sich auf ein Bündnis aus Gewerkschaftern, Schwarzen, Frauen und Minderheiten stützen konnte. Er verspricht, Sozialprogramme zu schaffen, ohne die Steuern zu erhöhen, was nur wenige überzeugt. Seine Wählerbasis ist im Schwinden begriffen, seit Gary Hart wieder ins Rennen zurückgekehrt ist.

Der dritte Zwanzig-Prozent- Kandidat ist Michael Dukakis, Gouverneur von Massachusetts und hoher Favorit bei den Vorwahlen in New Hampshire, wo er „Heimvorteil“ genießt. Dukakis gilt als fleißiger Technokrat, der in Massachusetts dank der Rüstungs- und High-Tech-Industrie um Boston ein bescheidenes „Wirtschaftswunder“ geschaffen hat. Das größte Problem seiner Kampagne ist fehlendes Charisma und die Befürchtung, daß er für die Wähler in den Südstaaten zu liberal sein könnte.

Jesse Jackson und George Bush

Dort muß dagegen am „Super Tuesday“ Jesse Jackson beweisen, daß seine neuen, gemäßigteren Töne nicht nur seine schwarze Anhängerschaft, sondern auch weiße Wähler mobilisiert. Jackson versucht in diesem Jahr, das Wahlvolk davon zu überzeugen, daß seine schwarze Hautfarbe kein Grund sein dürfe, ihm den Einzug ins Weiße Haus zu verweigern. In landesweiten Umfragen liegt er, vor allem wegen seines Bekanntheitsgrades, vor seinen demokratischen Konkurrenten. In Iowa erntet Jackson viel Sympathie, wenn er gegen die Praktiken des Big Business wettert und seine populistische Botschaft von mehr sozialer Gerechtigkeit für die Farmer auf dem Land und die Arbeiter in den Städten verkündet. Eine Revitalisierung der US-Ökonomie scheitert in seinen Augen nicht an den Japanern, sondern an der Profitgier der heimischen Kapitalisten und ihres verantwortungslosen Jobexports in Billiglohnländer der Dritten Welt. Hinter Jackson folgen in den Umfragen noch Gary Hart, dessen Neueinstieg nur wenige Wähler zu begeistern vermochte, Tennessees Senator Albert Gore Jr. und Arizonas ehemaliger Gouverneur Bruce Babbitt, der bisher nur von der Presse Lob für seine politischen Vorstellungen erhalten hat.

Bei den Republikanern hingegen liefern sich die beiden Favoriten, Vizepräsident Bush und Senatsführer Dole, verbale Gefechte erster Qualität. Mehr noch als mit Dole, der in Iowa vorne liegt, hat Bush mit den Medien zu kämpfen. Bush hat äußerste Schwierigkeiten, seine Rolle im Iran-Contra-Skandal von der Tagesordnung zu wischen. Falls sich dies nicht ändert, wird ihm auch seine millionenschwere Wahlkampfkasse und seine landesweite Bekanntheit nichts nützen, wenn es im November ums Weiße Haus geht.

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