INTERVIEW: "Waldheim lügt ja schon wieder"
■ Alt–Bundeskanzler Bruno Kreisky zu Waldheim und den Folgen / "Dieser Präsident führt zu einer furchtbaren Entzweiung des Landes" / Die meisten Österreicher haben die Nase voll
taz: Wurde Waldheim in Ihren Augen von der Kommission nun verurteilt oder freigesprochen?
Bruno Kreisky: Na, das war ja kein Verfahren. Das war eine Kommission, die hat Fakten festgestellt. Die Stellungnahme des Außenministers dazu ist horribel. Er erlaubt der Kommission nur die Äußerungen, die er haben will.
Was ist nun mit den Schlußfolgerungen der Kommission?
Conclusio 1 ist: Der betreffende Herr hat die Welt jahrelang angelogen. Das hat er nicht als Junger gemacht, sondern lange nach dem Krieg als UNO-Generalsekretär. Zweitens stellt sich nun die Frage: Ist ein solcher Präsident nützlich? Ich sag sonst gar nichts. Ich stell nur die Utilitätsfrage, ja. Und drittens, Waldheim ist auf der Watchlist. Da gibt es nun die objektive Historikerkommission, da gibt es ein neues Ergebnis. Und dieser Mr. Meese, der für die Watchlist-Entscheidung verantwortlich ist, ist ja selber eine zweifelhafte Persönlichkeit. Jetzt sollten die zuständigen Personen eine Überprüfung der Watchlist-Entscheidung veranlassen. Es kann ja nicht so sein, daß alle Kriegsteilnehmer auf der Watchlist stehen. Der deutsche Bundespräsident ist ja auch nicht drauf. Wenn er aber dennoch auf der Watchlist bleiben sollte, dann wird Österreich seine Haltung zum Bundespräsidenten überprüfen müssen.
Die Watchlist ist so wichtig?
Schauen Sie, was haben wir von einem Präsidenten, der nicht in die USA reisen darf, nicht in die Niederlande, nicht nach Belgien. der kann ja seine verfassungsmäßige Aufgabe gar nicht erfüllen.
Wie beurteilen Sie die „inneren“ Auswirkungen Waldheims auf Österreich?
Dieser Präsident führt zu einer furchtbaren Entzweiung des Landes, wie wir es seit dem Krieg nicht mehr erlebt haben. Die arithmetische Teilung ist da völlig unerheblich. Das kann auch ein Meinungsforschungsinstitut nicht erheben. Schauen Sie, da unten vor meinem Haus, da arbeiten Menschen, Arbeiter; die gehören sicher zu den 70 Prozent der Wiener, die Waldheim nicht gewählt haben, das darf man ja nicht vergessen – 70 Prozent der Wiener haben Waldheim nicht gewählt. Wenn Sie jetzt einen von denen fragen, was soll mit Waldheim passieren, soll er zurücktreten, dann wird der sagen: „Leckens mich...“ Der will davon nichts mehr wissen. Der will einfach seine Ruhe haben. Also bei einer Meinungsumfrage, da kann man mit der Frage so viel manipulieren. Aber zweifellos ist ein großer Teil vor allem der jungen Intellektuellen für eine Liquidation des Falles Waldheim.
Wie stellt sich für Sie in diesem Lichte das Gedenken an das Jahr 1938?
Ich sag immer: Nur die im Lichte stehen, sieht man, die im Dunkeln sieht man nicht. 38, das war ja nur etwa ein Drittel der Leute, die gejubelt haben. Mehr hätten auf den Straßen und Plätzen gar keinen Platz gehabt. Die anderen zwei Drittel sind daheim gesessen und haben gebetet, weil der Schuschnigg gesagt hat, Gott schütze Österreich. Und die Arbeiter haben die Faust geballt und einen Zorn gehabt, aber das hat auch nichts genützt. Aber ganz Österreich war für die Nazis, das stimmt ja nicht. Die im Dunkeln sah man nicht.
Und Waldheim...
Also es ist unwürdig für diesen Mann, daß er an diesen Gedenkfeiern teilnimmt. Er lügt ja auch schon wieder. Es ist doch einfach nicht wahr, daß der Westen Österreich im Stich gelassen hätte. Das ist falsch. Nur der Schuschnigg ist nicht hingefahren, weil er statt dessen lieber zum Mussolini ist. So war das nämlich. Jetzt hab ich Ihnen aber wirklich alles gesagt. Da haben Sie die Themen für meine nächsten vier Vorträge. So viel hab ich noch niemandem gesagt. Interview: Michael Schmid
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