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Gerangel um ein Kohl-Blatt

■ Ein Kompromißpapier des Kanzlers und EG-Ratspräsidenten zum Agrarmarkt soll den EG-Sondergipfel retten

Heute und morgen müssen die EG-Regierungschefs nachsitzen. Vor zwei Monaten waren sie sich weder über die Finanzen noch über die Verringerung der Agrarüberschüsse einig geworden. Zum Extratreff in Brüssel hat nun Helmut Kohl ein Kompromißpapier vorgelegt, daß auch Preissenkungen vorsieht. In Bonn haben Bauern gestern prompt mit Protesten reagiert. Und: Kohls Papier hat nicht einmal das von ihm gewünschte „Gütesiegel“ der EG-Kommission, wie deren Präsident Delors zugab.

An europäischer Gesinnung lasse er sich von niemandem übertreffen, pflegt der große Schwarze aus Bonn immer wieder allen zu versichern, die es noch einmal hören wollen – oder auch nicht. Eben erst auf den Sessel des alle sechs Monate wechselnden EG-Präsidenten rotiert, gibt Helmut Kohl schon eine Premiere: Erstmals in der Geschichte der EG steigen während einer Präsidentschaft gleich zwei Gipfeltreffen der zwölf EG-Regierungschefs: nämlich neben dem Routinegipfel im Juni in Hannover noch ein Sondergipfel heute und morgen in Brüssel.

Das Extrameeting hatten die Zwölf der EG-Spesenkasse auf ihrem letzten Gipfel im Dezember in Kopenhagen eingebrockt: Ohne Ergebnis hatten die Häuptlinge nach zwei Tagen die Probleme vertagt, die nun fast unverändert die Brüsseler Tagesordnung ausmachen: die verschleppte Reform des EG-Finanzsystems und das leidige Agrarschlammassel. Seit Kopenhagen wurstelt sich die EG ohne gültigen Haushalt durchs neue Halbjahr.

Die Bonner Regierung gibt sich vor dem Gipfel optimistisch. Kanzler Kohl ließ gestern in einem Brief an die elf anderen Regierungschefs verlauten, es seien nunmehr alle Voraussetzungen für die notwendigen Entscheidungen gegeben. Kohls Kompromißpapier, so ist aus Bonner Regierungskreisen zu hören, sieht zur Verringerung der Agrarüberschüsse sowohl Flächenstillegungen (bisher von Großbritannien blockiert) als auch Preissenkungen (bislang von Bonn abgelehnt) vor. Doch offen bleiben weiter Höchstmengen und der Umfang der Preissenkungen.

Eine Neuordnung des Finanzausgleiches zwischen den reicheren nördlichen und den ärmeren südlichen EG-Staaten wird allgemein als Grundvoraussetzung für den bereits für 1992 ins Auge gefaßten einheitlichen Binnenmarkt angesehen. Die Nordstaaten sehen sehr wohl ein, daß erst mal kräftig in die Märkte der Südstaaten reingebuttert werden muß, damit diese dann die Exportströme aus dem Norden aufnehmen können. Also sollen die Struktur- und Regionalfonds mächtig aufgestockt werden. Bei der Frage, in welchem Ausmaß (Spanien will nicht weniger als eine Verdoppelung) und aus welchen Kassen geht der Streit aber auch schon los.

Die Vorschläge der Brüsseler EG-Kommission zur Reform des Finanzsystems sehen dafür – neben den bisherigen Mehrwertsteueranteilen, Zöllen und Abschöpfungen – zusätzliche Abgaben vor, die nach dem jeweiligen Bruttosozialprodukt berechnet werden sollen. Gegen die Kommissionspläne regt sich Widerstand nicht nur in den Nord-Staaten. Auch Italien hat sich in dieser Frage aus der Süd-Schiene ausgeklinkt: Sein Bruttosozialprodukt lag letztes Jahr erstmals über demjenigen Großbritanniens.

Der Schlüssel zur Behebung der Finanzmisere liegt jedoch in einem Bereich, in dem grundlegende Lösungen einer Sensation gleichkämen: in der verfahrenen Agrarpolitik. Zwei Drittel des gesamten EG-Haushaltes verschlingt mittlerweile die irrsinnige Überschußproduktion. Produziert wird der größere Teil der Agrarüberschüsse samt den defizitträchtigen Subventionsorgien nicht in den weitgehend noch agrarisch geprägten Südländern, son dern in den nördlichen Industriestaaten. Dort wiederum sind die durchrationalisierten Agrarfabriken samt der daran hängenden Branchen wie Transportgewerbe, Lagerhalter und Kühlmittelhäuser Quelle und Profiteure der Überschußproduktion. Doch nicht ihnen, sondern den kleinen und mittleren Landwirten, den vom Strukturwandel eh schon gebeutelten bäuerlichen Familienbetrieben, soll es jetzt an den Kragen gehen. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner aller in Brüssel gehandelten Konzepte.

Die Eurokraten der Kommission haben dem Rat ein 19-Seiten- Papier auf den Tisch gelegt, dessen Kernpunkt die sogenannten Agrarstabilisatoren sind: Obergrenzen für Produktionsmengen, auf die Garantiepreise gezahlt werden. Wird zum Beispiel mehr Getreide als eine festgesetzte Höchstmenge produziert, sollen die Produzenten im folgenden Jahr mit fallenden Preisen bestraft werden. Bis zu drei Prozent Preissenkungen schlägt Kohl jetzt in seinem Kompromißpapier vor. Dieser Mechanismus soll den bisher durch Abnahmegarantien verwöhnten Bauern die Lust am Überschuß austreiben und die Subventionen drosseln. Die drohenden Preissenkungen würden – gerade bei Getreide und Raps – vor allem die deutschen und französischen Bauern treffen. Ignaz Kiechle, derzeit Chef der EG-Agrarministerrunde, will dagegen sein ländliches Wählerreservoir erhalten und den Kleinen den Ausstieg wenigstens versilbern: mit Prämien für freiwillige Flächenstillegungen sowie Vorruhestandsregelungen. Ungedüngtes Brachland tue schließlich auch der Umwelt gut, meint der Allgäuer.

Außer Kiechle selbst glaubt allerdings in Brüssel kein Mensch daran, daß solche Flächenstillegungen die Überschüsse spürbar senken würden: Zieht man die EG- üblichen Sonderregelungen und Übergangsfristen einmal ab, dann wären vorerst ganze 1,4 Prozent der europäischen Produktionsfläche betroffen. In den freiwilligen Vorruhestand würden sich wohl vorwiegend ältere Bauern in benachteiligten Gebieten ausbezahlen lassen, die demnächst sowieso dem Strukturwandel zum Opfer fielen. „Auf den stillgelegten Flächen“, so spottete eine EG-Korrespondentin dieser Tage, „kann Kiechle dann seine frühpensionierten Bauern beerdigen.“ Der Rest würde eben aus weniger Fläche mit ein paar Sack Kunstdünger mehr die gleiche Menge herausholen. Die Umwelt läßt grüßen! Außerdem müssen ja die Prämien finanziert werden, von wegen also Subventionsabbau!

Zwar konnte Kiechle in der letzten Agrarministerrunde vor dem Gipfel einige Punkte für seine Stillegungsprämien verbuchen. Doch ein konsensfähiges Kompromißpaket dürfte in Brüssel nur zustande kommen, wenn die Bundesregierung nun ihrerseits in Sachen Abnahme- und Preisgarantien den Verfechtern der ganz harten Sparlinie entgegenkommt, deren Front von Großbritannien und den Niederlanden angeführt wird.

Hinter den Brüsseler Kulissen wird neuerdings auch versucht, den Bonnern die Preissenkungen mit einem möglichen Entgegenkommen bei den auslaufenden Stahlquoten schmackhaft zu machen. Nachdem die Bundesregierung bis vor wenigen Jahren beim Stahl stets heftig in die Schalmeien des freien Wettbewerbs geblasen und die Aufhebung des Quotenkartells gefordert hatte, setzt sich Wirtschaftsminister Bangemann, die deutschen Stahlkocher auf der Straße und in seinem Nacken, neuerdings energisch für die Fortsetzung der Quoten ein.

Die Bonner Delegation steht also vor der Wahl, den Brüsseler Gipfel scheitern zu lassen (für diesen Fall hat sie als Schuldige bereits die bislang kompromißlose Margret Thatcher ausgeguckt) oder kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein das heimische Landvolk in den Regen zu stellen.

Daß auch in Frankreich, dessen familienbäuerlich geprägte Landwirtschaftsstruktur der deutschen am ehesten vergleichbar ist, im März Wahlen anstehen, steigert die Chancen für einen Kompromiß übrigens auch nicht. Möglich allerdings, daß Großbritannien sich sein Veto für einen großzügigen Rabatt beim EG-Beitrag abkaufen läßt. Bundesfinanzminister Stoltenberg – so sagen Brüsseler Diplomaten – hat jedenfalls schon am Dienstag verkündet: „Bei dem Rabatt werden die Briten einen Erfolg haben.“

Die große Wende in der Agrarpolitik würde allerdingsa auch der Kompromiß nach Kohlschem Muster nicht bringen. Aber für schmerzhaftere Operationen hat man dieses Mal ja noch den zweiten Gipfel im Juni in Reserve. Thomas Scheuer

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