P O R T R A I T
: Ein Tariffuchs an der Spitze

■ Walter Riester stieg zum Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg auf

Berlin (taz) – „Schau nicht so genau hin, was wir hier machen“, murmelte der Tarifsekretär aus der Stuttgarter Bezirksleitung der Industriegewerkschaft Metall und verschwand zusammen mit dem Schlichter Georg Leber und den anderen Mitgliedern der Verhandlungsdelegationen hinter den Türen des Verhandlungssaals.

Das war Ende Juli 1984 im feudalen Schloßhotel Monrepos bei Ludwigsburg, und was dort gemacht wurde war – nach sieben Wochen Streik – einer der wichtigsten Tarifabschlüsse der Nachkriegszeit: der sogenannte „Leberknödel“, der Durchbruch zur Wochenarbeitszeitverkürzung, die Abschaffung der tariflichen 40-Stunden-Woche, die Behauptung der Metallgewerkschaft als selbständige soziale Kraft inmitten von Wirtschaftskrise und konservativer Wendepolitik.

Walter Riester, der jetzt 44jährig zum Bezirksleiter der Stuttgarter IG Metall und damit zum mächtigsten Bezirksfürsten der Metallgewerkschaft aufsteigt, war damals als Tarifexperte seiner Organisation daran beteiligt, unter Anleitung des Schlichters Georg Leber den „Leberknödel“ zu kochen – die Bauchschmerzen dabei waren ihm ins Gesicht geschrieben. Denn die IG Metall hatte seinerzeit nicht nur das 40-Stunden-Tabu der Unternehmer gebrochen, sie hat auch Federn lassen müssen bei der betrieblichen Umsetzung des Tarifkompromisses.

Riester ist schon seit Jahren einer der profiliertesten Tarifpolitiker der IG Metall. Er war maßgeblich an der Formulierung jener eigenständigen, auf qualitative Verbesserung der Arbeitsbedingungen orientierten Tarifstrategie beteiligt, die unter dem Bezirksleiter Franz Steinkühler in den 70er Jahren entworfen wurde und zu mancherlei Konflikt und Rivalität mit der Frankfurter IGM-Zentrale führte.

Heute ist Steinkühler selbst an der Spitze, und sein alter Vertrauter Riester dürfte ihm Gewähr dafür bieten, daß ähnliche Rivalitäten zwischen Frankfurt und Stuttgart nun der Vergangenheit angehören.

Riester, der den 60jährigen Ernst Eisenmann ablöst, gehört zur mittleren Generation der IGM-Funktionärsgarde, die jetzt überall in die politischen Entscheidungsfunktionen einrückt. Aller aufgesetzter proletarischer Gestus ist ihm fremd. Eher verkörpert er den Typus des intellektuell geschulten modernen Angestellten. Seine fachliche Kompetenz ist bei den Arbeitgebern unumstritten und gefürchtet. Martin Kempe