INTERVIEW
: "Manche wollen die Wahrheit verdrängen - nicht nur in Israel"

■ Interview mit Ruben Moskovitz aus der israelischen Friedensbewegung

taz: Herr Moskovitz, wie wirkt die Berichterstattung in der Bundesrepublik über die Ereignisse in den besetzten Gebiete auf jemanden, der in Israel lebt und hier zu Besuch ist?

Ruben Moskovitz: Die Berichte sind erschreckend, genau wie in Israel. Man kann kein gutes, rechtfertigendes Wort für die Ereignisse in den besetzten Gebieten finden. Ich bin nicht der Meinung wie manche Scharfmacher bei uns, daß die Berichterstattung manipuliert sei. Mir ist allerdings bis jetzt nicht aufgefallen, daß über den Widerstand seitens eines Teils der israelischen Bevölkerung so berichtet worden ist, daß einem Menschen, der wenig Informationen hat, ein ausgewogenes Bild vermittelt wird. Die Artikel und Aufnahmen über die Ereignisse in den besetzten Gebieten selbst sind nicht übertrieben, aber es gibt Aspekte, die fehlen.

Entspricht es denn dem realen Kräfteverhältnis in Israel, wenn z.B. den Aktivitäten der Friedensbewegung besonders großer Platz eingeräumt wird?

Mir kommt es darauf an, daß man nicht denkt, ganz Israel stünde hinter der Politik von Verteidigungsminister Rabin und Shamir. Die Frage ist: Geht es um Quantität oder um Qualität? Quantitativ gesehen weiß ich nicht, ob die nächsten Wahlen eine grundsätzliche Änderung bringen werden. Aber wenn man berücksichtigt, daß sich Schriftsteller, Dramaturgen, Psychologen und andere nach den Ereignissen spontan organisert und sich gesagt haben: „Wir vertrauen nicht länger auf die Regierung, wir wollen uns selbst an die Palästinenser wenden und ihnen mitteilen, daß wir mit ihnen einen Dialog führen möchten.“ Andere haben spontan auf einen Spendenaufruf reagiert und Lebensmittel für die Flüchtlingslager gesammelt. Derartige Reaktionen können heute noch nicht die Politik Israels bestimmen. Für die Einstellung vieler deutscher Bürger, die ein Interesse an den Ereignissen in Israel haben, aber nicht daran, die Bevölkerung dort in die guten Palästinenser und die bösen Israelis einzuteilen, sind Berichte über unterschiedliche Auffassungen wichtig. Seit ich 1974 das erste Mal nach Deutschland gekommen bin, habe ich gegen die pro-israelischen Schwärmer argumentiert, die alles, was Israel macht, für gut, und alles, was die Palästinenser tun, für schlecht halten. Jetzt droht die Gefahr einer Umkehrung: Früher sind die Juden, die Israelis, die Guten gewesen und die Palästinenser die Bösen, und jetzt gelten die Palästinenser als die Gerechten. In diesem Land gibt es zwei tief verletzte Völker, verletzt von Kolonialismus, Unterdrückung, Verfolgung, Holocaust, Vertreibung, Heimatlosigkeit. Durch die Unfähigkeit, sich in die Situation des anderen zu versetzen, finden sie nicht den Weg zueinander, um in Frieden zu leben.

Die Presse in Israel ist zum Teil relativ kritisch gegenüber der Politik in den besetzten Gebieten eingestellt. Doch Meinungsumfragen zufolge unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung die Politik der Regierung. Wie erklären Sie sich das?

Die jüngsten Ereignisse sind Ergebnis der Besatzung und nicht „Störungen von Ruhe und Ordnung“. Derartige Ansichten tragen zur Herausbildung von antidemokratischen Zügen bei. Der Teil der Presse, der sachlich und wahrheitsgemäß berichtet, wird zu einem Objekt der Wut. Manche Kreise wollen die Wahrheit verdrängen, aber das ist nicht nur in Israel der Fall. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß ein qualititiver Teil Israels, also Künstler, Journalisten, Schriftsteller, ein Teil der Erzieher, ja sogar Personen im Umkreis der Armee, mit dieser Politik nicht einverstanden ist. Interview: Beate Seel