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Vom festen Glauben an einen glücklichen Ausgang

Unter dem Motto „Das Zeitalter der Entdeckungen“ plant Sevilla eine Weltausstellung für 1992 / 500 Jahre nach Christoph Kolumbus soll vor allem der Region Andalusien ein Schubs in Richtung Zukunft versetzt werden / Die Weltmesse mit dem Imagegewinn für ein modernes Spanien läßt sich der Staat was kosten  ■ Aus Sevilla Reinhold Görling

Der anhaltende Regen dieses Winters hat die weißgetünchten Häuserwände und die Dächer von El Porvenir mit einem grünen Schleier aus Moos und Gras überzogen. Den Namen „Die Zukunft“ trägt dieses leicht verfallene Villenviertel in unmittelbarer Nähe des historischen Stadtzentrums der andalusischen 700.000-Einwohner-Metropole, seitdem es die Sevillaner Bürger in ihre stolzen Pläne zu einer Exposicion Ibero-American eingeschlossen hatten. Mit dieser Ausstellung suchten sie zu Beginn dieses Jahrhunderts an das große imperiale Erbe Spaniens anzuknüpfen. Hatten doch im 16.Jahrhundert, als Sevilla das Monopol im spanischen Überseehandel besaß, die schönsten und teuersten Waren und Güter der Welt in den Lagerhallen der Stadt Station gemacht: Über 20 Jahre wurde an dieser kleinen Weltausstellung geplant, aber es bedurfte wohl des Nachdrucks von Primo de Rivero, des im nahen Jerez geborenen spanischen Diktators der zwanziger Jahre, daß sie schließlich 1929 ihre Tore öffnete. Mitten in der gerade ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise mußte diese Messe aber zu einem ökonomischen Mißerfolg werden, ein Teil der schönen Pavillons verfiel seitdem, geblieben ist ein herrlicher Park, eine Prachtstraße unter Palmen und eben El Porvenir.

Diese negative ökonomische Bilanz errechnete den Sevillanern erst vor ein paar Jahren ein mißtrauischer Doktorand. Aber hören wollte man das zu diesem Zeitpunkt noch weniger als vorher, denn inzwischen hatte ein anderer andalusischer Staatsmann, der sozialistische Regierungschef Gonzales, seine Sevillaner mit einem neuen Plan bedacht: 1992, genau 500 Jahre nachdem Kolumbus seinen Fuß auf den Süden der „Neuen Welt“ gesetzt hat, soll Sevilla zum Sitz einer neuen Weltausstellung werden, einer „richtigen“ diesmal, d.h. einer, der das in Paris ansässige Internationale Ausstellungsbüro (PIE) die höchste Kategorie verliehen hat. Von dieser internationalen Instanz gebilligt ist auch das Motto: „Das Zeitalter der Entdeckungen“.

Nicht immer hatten Weltausstellungen ein explizites Motto, oder anders gesagt, alle Weltausstellungen des 19.Jahrhunderts schlossen sich dem Motto „The Progress“ an, unter dem London 1851 dieses Weltspektakel begründete. Seither zeugen alle Weltausstellungen zumindest in der Wahl ihres Themas von einem Bewußtsein der politischen Probleme, die der „Fortschritt“ mit sich brachte und bringt. So hatte die Weltausstellung 1935 in Brüssel etwa das Thema „Frieden unter den Völkern“, und auch die letzte Weltausstellung, die 1970 in Osaka veranstaltet wurde, forderte „Menschlicher Fortschritt in Harmonie“. Japan zelebrierte mit diesem riesigen Spektakel seinen unaufhaltsamen Aufstieg in die Runde der größten Industrienationen und schuf sich auf dem Ausstellungsgelände zugleich eine neue Stadt mit kompletter Infrastruktur im Ballungsgebiet von Groß-Tokio. 98 Prozent der 800.000 täglichen Besucher kamen aus dem eigenen Land, und sie bestaunten neben den 68 nationalen Pavillons auch 28, die die großen privaten Konzerne aufgebaut hatten.

Es wird wohl keine Weltausstellung mehr geben, die den von Osaka aufgestellten Rekord von über 64 Millionen Besuchern wird brechen können. Im Zeitalter des Fernsehens ziehen es die Menschen vor, große Spektakel im Wohnzimmer zu genießen. Immer risikoreicher wird deshalb auch jede Prognose über den wirt schaftlichen Erfolg eines solchen Unternehmens. Dies dürfte (neben parteipolitischen Querelen) wohl auch der Grund sein, warum Paris seine schon angemeldete Weltausstellung zur 200-Jahrfeier der Französischen Revolution ebenso abgesagt hat, wie Chikago sein vom BTE längst bewilligtes Vorhaben, 1992 zusammen mit Sevilla der „Entdeckung Amerikas“ zu gedenken.

Die Prognosen über die im „Kolumbusjahr“ in Sevilla zu erwartenden Besucher schwanken zwischen 17 und 28 Millionen. Selbst für ein Land, das im letzten Jahr mit einer Zahl von 45 Millionen etwas mehr ausländische Touristen anzog, als es selbst Einwohner hat, selbst für dieses größte Urlaubsland der Welt muß eine solche Spannbreite besorgniserregend sein. Als vor zwei Jahren dann auch noch bekannt wurde, daß Barcelona zur gleichen Zeit die Olympischen Sommerspiele austragen wird, ging etwas Unruhe durch die Reihen der Organisatoren der Expo 92, jedenfalls solange, bis man sich zu der Annahme entschloß, daß diese ein eher förderlicher Begleitumstand sein werde.

So unsicher der Grund noch ist, auf dem sich alle Prognosen bewegen, schon früh – und zwar vor aller inhaltlicher Konzeption – wurde der Ort der Ausstellung festgelegt: Die nach einer dort liegenden Klostersiedlung des Karthäuserordens benannte Cartuja- Insel. Entstanden aus einer Begradigung des Flußverlaufs des Guadalquivir ist die nahe dem Stadtzentrum gelegene und 215 ha große Insel unbebaut, nur eine Gruppe von „Gitanos“, wie die Roma in Spanien genannt werden, lebt an ihrem Rande. Als vor bald drei Jahrzehnten der Fluß sein neues Bett bekam. dachte man neben dem Schutz der Stadt vor Überschwemmungen auch daran, neues Land für die rapide Expansion Sevillas zu gewinnen. Doch das wirkliche Wachstum der Stadt blieb ein Vielfaches hinter den kühnen Prognosen zurück. Sevillas Industriealisierung ist heute wie vor einigen Jahren extrem strukturschwach, d.h. nur einige wenige und vom andalusischen Markt abgetrennte Sparten haben westeuropäisches Niveau, der Anteil der im Dienstleistungssektor Tätigen liegt in Andalusien bei über 50 Prozent, und fast 32 Prozent der Erwerbstätigen waren in der Provinz Sevilla im vergangenen Monat arbeitslos gemeldet. Waren seit der Pariser Weltausstellung von 1855, als Hausmann sein Werk der Umgestaltung der französischen Hauptstadt begann, die Weltausstellungen immer mit großen städtebaulichen Plänen verbunden, so trifft das für Sevilla 1992 kaum zu. Statt in der Neuerschließung von Gelände liegt das Bedürfnis der Stadt wohl auch vielmehr in einer Linderung der durch die zurückliegende rasche Expansion entstandenen Probleme: So fehlt es in einigen Randbereichen noch immer an Straßenbelag, es gibt keinen einzigen Meter Radfahrweg, Spiel- und Sportplätze sind rar, und zur Abkühlung in den heißen Sommertagen steht nur ein städtisches Frei- und kein einziges Hallenbad zur Verfügung.

Und selbst beim Straßenbau decken sich die längerfristigen Interessen der Stadt nicht zwangsläufig mit den infrastrukturellen Erneuerungen, die die Expo 92 erfordert. Diese Weltausstellung ist weitgehend ein Projekt der Zentralregierung, und sowohl die Wege ihrer Finanzierung wie der eher zufällige Umstand, daß die Caruja-Insel Eigentum des Staates und nicht der Stadt ist, macht es möglich, daß die Stimme der Kommune bei den Entscheidungsprozessen kaum Gewicht hat. Aber Kritik wird gleichwohl fast immer sehr behutsam formuliert: Wer wollte durch solchen Mißmut auch den Erfolg eines Projektes gefährden, an dessen guten Ausgang man glaubt wie an das gute Ende jeder Geschichte, in die man verwickelt wird. Bei den Investitionssummen, die hier im Spiel sind, kann es sich auch eine reichere Region kaum leisten, nein zu sagen. 4 Milliarden Dollar sollen alle Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen- und Eisenbahnbau, Flughafenerweiterung, Erstellung von Datenkommunikationswegen usw. kosten. Dazu kommt noch einmal eine halbe Milliarde Dollar an Baukosten direkt vor Ort. Von offizieller Seite wird dabei errechnet, daß dies bis zum Ende der Weltausstellung eine Bereitstellung von duchschnittlich 190.000 temporären Arbeitsplätzen bedeutet.

Eher achselzuckend nehmen die Andalusier auch die mehr oder weniger großen Skandale hin, die das Projekt bisher begleitet haben. Patronage ist auch nach über zehn Jahren parlamentarischer Demokratie in Spanien eine der wichtigsten Mechanismen bei der Verteilung von Ämtern und Aufgaben. So bestellte Felipe Gonzales persönlich einen seiner Hochschullehrer zum Generalkommissar der Expo 92 und Sonderbotschafter Spaniens, sowie einen anderen persönlichen Freund, einen Vertreter der jungen dynamischen Unternehmergeneration Spaniens, zum Chef der staatlichen Planungs- und Baugesellschaft. Es kann dann auch kaum verwundern, daß seine frühere Firma, die größte in der Baubranche Spaniens, den Löwenanteil aller bisherigen Aufträge eingestrichen hat. „Aber es ist halt die einzige spanische Baufirma, die sich so etwas leisten kann“, lautete kürzlich der resignierende Kommentar eines spanischen Journalisten.

Irgendwie läuft das Projekt: Seit Juli 1987 ist der erste Bebauungsplan beschlossene Sache. Besondere Einfälle weist er nicht auf, sieht man einmal davon ab, daß sich die Spanier der technologischen Finessen des ebenfalls genau vor 500 Jahren verjagten Araber besonnen und ein interessantes Kanalsystem zur Verbesserung des Mikroklimas entworfen haben. Seit einigen Monaten sind die Planierraupen am Werk, die Roma werden sich bald ein neues Stückchen Erde suchen müssen, und sogar mit der Renovierung des Klosters ist schon begonnen worden. Seitdem im April 1986 die Logotype präsentiert wurde, klebte sich jeder zweite Sevillaner Autobesitzer den Schriftzug mit der scheußlich gerasterten Weltkugel an die Heckscheibe. Die Fußballnationalmannschaft trägt das Emblem auf der Brust, und schnell wurden große Schilder an allen Straßenbauten aufgestellt, mit denen zu einem guten Teil auch ohne Expo 92 und mit Zuschüssen aus dem EG-Infrastrukturprogramm die miserable verkehrstechnische Kommunikation zwischen den andalusischen Großstädten verbessert werden würde und soll.

Ihre Teilnahme zugesagt haben inzwischen auch schon eine Reihe von Staaten aus West- und Osteuropa sowie aus Amerika. Und auch Vertreter von Privatunternehmen haben ihr Engagement angekündigt: Als erstes übrigens der Weltverband der Tabakindustrie.

Die letzte Weltausstellung auf europäischem Boden fand 1958 in Brüssel statt, und ihr Wahrzeichen, das Atomium, ist seitdem zu einem Warnzeichen vor den möglichen katastrophalen Folgen der technologischen Entwicklung geworden. Um so erstaunlicher ist die Nonchalance, mit der die Veranstalter und Organisatoren dieser neuen Expo in einem europäischen Land jede kritische Sensibilität zur Seite schieben und Frohsinn über den Lauf der Welt verordnen. So heißt es in der deutschsprachigen Presseinformation, daß es gelte, „der Forschung und dem schöpferischen Geist, den Erfindern und Künstlern, den wissenschaftlichen und technologischen Neuerungen sich gebotenen Beifall zu zollen“. An anderer Stelle ist dann auch explizit zu lesen: „Die Austellung möchte eine optimistische Botschaft vorbereiten“.

1992 soll Spaniens Jubeljahr werden: Sollte Felipe Gonzales nicht wider aller Erwartungen die nächste Wahl verlieren, regiert er dann zehn Jahre, die Übergangsregelungen der EG-Mitgliedschft werden abgelaufen sein, und Spanien will den Anschluß an die großen Industienationen gefunden haben. Solch gestärkter Nationalstolz hören kritische Stimmen nicht gern. Als Ramon Tamames, Wirtschaftswissenschaftler und unabhängiger linker Abgeordneter vor einiger Zeit anmerkte, daß man besser nicht von einer Entdeckung Amerikas spreche, denn dort hätten schließlich schon Menschen gelebt, die sich außerdem nicht alle freiwillig haben kolonisieren lassen, als Tamames dies anmerkte und vorschlug, doch eher ein Thema wie „Begegnung der Kulturen“ zu wählen, da passierte gar nichts. Spanien hegt weiter den heiligen Stier seines Nationalstolzes und hofft, daß er endlich wieder zu eienm Golddukaten scheißenden Esel werden möge. Wenn es um staatlich gesicherte Profitmargen geht, verzichtet sogar der andalusische Unternehmer einmal auf den morgentlichen Ritt über seinen Großgrundbesitz. „Sie müssn uns nur sagen, was wir tun sollen, dann legen wir Hand an“, antwortete vor ein paar Tagen der Vorsitzende des Verbandes der andalusischen Unternehmer auf die Vorhaltung, daß sie sich zu wenig an den Vorbereitungen zur Expo 92 beteiligten. Sollte die Weltausstellung ein Mißerfolg werden, so werden sie nichts verloren haben, weil sie auch nichts investiert haben. Zu wünschen aber ist das den herzlichen Sevillanern nicht, und es ist auch sehr unwahrscheinlich, denn es dürfte gegenwärtig keine andere Stadt in Europa geben, die zu jedem möglichen Anlaß solch herrliche Feste zu entfalten weiß wie Sevilla. Nur hätte dann Spanien einmal mehr nicht seine Kapitalkraft und seine Organisationsfähigkeit, sondern seine Volkskultur vermarktet.

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