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Berliner NS-Akten vor der Entsorgung

Verschwinden geheime NS-Akten aus dem Berliner Document Center in der Gruft des Bundesverwaltungsamtes? / Übergaberegelungen an deutsche Stellen unklar / Alliierte behalten sich weiterhin Zugangsmöglichkeit vor / Historiker fürchten Forschungsblockade  ■ Aus Berlin Benedict M. Mülder

Was jahrzehntelange Verhandlungen nicht vermochten, schaffte binnen kurzem ein Skandal. Drei Tage nachdem der fortwährende Diebstahl „mehrerer zehntausend“ geheimer NS-Akten aus dem unter US-Kontrolle stehenden Berliner Document Center (BDC) aufgedeckt worden war, kam die Reaktion der Bundesregierung unverhofft prompt. Bonn erklärte vergangene Woche, daß man sich mit den USA grundsätzlich über die Übergabe der 30 Millionen Akten an deutsche Stellen geeinigt habe. Alle wichtigen technischen Fragen seien gelöst.

Tatsächlich ist nur klar, daß die Amerikaner die oft wiederholte Absicht bekundet haben, die Akten zu übergeben. Auf eine schriftliche Bestätigung hingegen wartet das Auswärtige Amt, das die Verhandlungen geführt hat, nach eigenen Angaben noch. Das „Warten“ kann seine eigene Bewandtnis haben. Einer der ersten deutschen Politiker, die vehement einer Übergabe der Akten das Wort redeten, war der frühere SPD- Bundestagsabgeordnete Hansen. Für ihn stand schon Ende der siebziger Jahre fest, „daß die Bundesregierung die Dokumente nicht will, weil sie frühere Nazis decken will, die in peinliche Verlegenheit kämen, wenn gewisse Dokumente veröffentlicht würden“. Das war noch zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition. Aber auch die Kohl- Regierung hatte und hat es mit der Übernahme nicht eilig. Die Angst, osteuropäische Stellen könnten nach einer bundesdeutschen Übernahme einen „mißbräuchlichen“ Zugang bekommen, soll für die ablehnende Haltung der Bundesregierung nicht unbedeutend gewesen sein, wollen Insider wissen. Mit dem Skandal nun ist die Bundesregierung auf einmal bereit, weitere drei Millionen Mark für die Mikroverfilmung der Akten, die die zu Recht mißtrauischen Amerikaner sich ausbedungen haben, zur Verfügung zu stellen.

Bisher ist etwa die Hälfte des Bestandes, der auf insgesamt 90 bis 100 Millionen Blatt Papier geschätzt wird, verfilmt. Mit dem Abschluß der Kopierarbeiten rechnet das Bonner Außenministerium in zwei bis drei Jahren, das Innenministerium spricht von drei bis vier Jahren. „Wie schnell es geht“, so heißt es bei Berliner US- Stellen jedoch, „hängt vor allem vom Finanzier“, also der Bundesregierung ab.

„Glasnost“ versus Gruft

Sie entscheidet auch über den zukünftigen Nutzen der Akten, wenn sie denn in den neunziger Jahren in den Besitz des Bundes übergegangen sein sollten. Kurioserweise ist für die Entgegennahme des brisanten Materials mit Rücksicht auf den Status Berlins eine Stelle vorgesehen, die sich vor allem mit Pensionssachen und BAFöG- Darlehen beschäftigt, das in Köln ansässige Bundesverwaltungsamt. Im Unterschied zum Koblenzer Bundesarchiv hat es zwar eine Außenstelle in Berlin, aber kaum Erfahrung im Umgang mit so historisch bedeutsamen Dokumenten. Schließlich zeichnet sich unter den Archivaren in Berlin und Koblenz ein ziemliches Gerangel ab. Nicht nur, weil das BDC nach Meinung von Experten heute eher einer Aktenverwahranstalt als einem Archiv gleicht, sondern auch wegen der Verteilung.

Mitarbeiter des Bundesarchivs schließen eine Aufteilung nicht aus. Es sei vorstellbar, mit den Akten des Freislerschen Volksgerichtshofes (“Reichssache“) den Bestand in Koblenz zu vervollständigen, während etwa die NSDAP betreffendes Material (“Ländersache“), das außerdem der alliierten Kontrollratsgesetzgebung unterliegt, in Berlin verbleiben könnte.

Doch im Schlepptau der Übernahme kommt auch der Datenschützer ins BDC. Den Zugang regelt in jedem Falle das Anfang 1988 in Kraft getretene Bundesarchivgesetz.

Zwar billigt es „jedermann“ zu, „Archivgut des Bundes zu nutzen“, aber eben auch nur für den Fall, „daß das Wohl der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder“ nicht gefährdet wird oder „schutzwürdige Belange Dritter“ dem nicht entgegenstehen. Hinzu kommt, daß Akten natürlicher Personen erst 30 Jahre nach ihrem Tod oder 110 Jahre nach ihrer Geburt freigegeben werden dürfen.

Angesichts dieser Restriktionen diskutieren Historiker, aber auch AL und SPD, mit Verweis auf den amerikanischen „Freedom of Information Act“ eine „Sonderregelung“ für das NS- Material oder erwägen die Einrichtung eines zentralen Dokumentations- und Forschungszentrums. Auch die Idee, das Material einer internationalen Historikerkommission zu übergeben, findet Anklang. Schließlich gehen auch US-Stellen leises Mißtrauen, der im Archiv liegende historische Sprengstoff könne in der Gruft des Bundesverwaltungsamtes und im Würgegriff des Datenschutzes entsorgt werden. Allein darauf bezieht sich ihr Hinweis auf noch ausstehende Konsultationen mit den westlichen Alliierten. Man will auf jeden Fall sicherstellen, daß westlichen Historikern der Zugang zum Archiv nicht verwehrt wird. „Glasnost für das BDC“, so der in Berlin lebende amerikanische Historiker Michael S. Cullen, „ist das Gebot der Stunde“.

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