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Deutsche „Terrorsiedlung“ im Süden Chiles

Ehemalige Bewohner der deutschen Siedlung Colonia Dignidad berichten vor dem Bundestagsausschuß für Menschenrechte von Mißhandlungen und Freiheitsberaubung  ■ Von Thomas Schmid

Die ersten Berichte über menschenunwürdige Behandlungen in dem Siedlungsprojekt im Süden Chiles sind bereits aus den sechziger Jahren. Seitdem tauchten immer neue, beunruhigendere Berichte über die Zustände in Colonia Dignidad auf, wo Sektenführer Paul Schäfer offenbar hunderte Anhänger terrorisiert. Nachdem eine Delegation des Auswärtigen Amtes Ende 1987 der Zutritt zu der Siedlung verweigert wurde, hörte der Bundestagsausschuß gestern die Schilderung ehemaliger Bewohner.

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Er bittet die Betroffenen um Verständnis, doch: „Ich kann nichts ungeschehen machen.“ Dann erzählt er von den Stacheldrahtzäunen – „zum Schutz vor Kommunisten“, wie man den Siedlern erklärt, von Stolperdrähten, elektronischer Überwachung und Schäferhunden. Rund um die Uhr werde das Gelände von gut bewaffneten Wachmannschaften bewacht. Über seine eigene Beteiligung an den Verbrechen schweigt er. Er gibt nur zu, daß er auf dem Frankfurter Schwarzmarkt in Deutschland 1970 und 1971 – „Sie werden verstehen, daß ich keine Namen und Adressen nennen kann“ – Waffen, darunter auch Maschinenpistolen, Handgranaten und zwei Maschinengewehre, für die Kolonie eingekauft habe. Diese verfüge heute über mindestens 50 Maschinenpistolen.

Besonders erschüttert hat Baar, daß Paul Schäfer, der charismatische Sektenführer, dem die ganze Siedlung hörig ist, seine – Baars – damals 28jährige Tochter mit Füßen und Fäusten halbtotgeschlagen habe. „Raus, du Mistvieh!“ habe er sie angebrüllt. Auch wie man Peter Rahl, nach Ansicht von Dr. Hopp ein kranker Mann, zugerichtet habe, habe er mitansehen müssen.

Schäfer entscheidet, wer heiraten darf, berichtet Baar weiter. Aber die Verheirateten leben getrennt und können nur „hinter dem Backofen“ oder an andern Verstecken „zusammen sich als Eheleute bewegen“. Wenn dann eine schwangere Frau entbunden wird, kommt das Kind sofort ins Kinderheim. Zu Vater und Mutter wird es später Onkel und Tante sagen.

Nach Baar packte Lotti Packmor aus. Sie war Pförtnerin im Empfangshaus der Siedlung. Alle Beobachtungen im Umkreis von mehreren Kilometern, Fahrzeuge und Personen, die sich näherten, mußten unverzüglich per Funk Paul Schäfer gemeldet werden, erzählt sie. Ihre Kenntnisse über die Sicherheitsanlagen erleichterten ihr 1980 die Flucht. Als sie wieder eingefangen war, drohte ihr Dr. Hopp mit einer Spritze. Dr. Gisela Seewald, ebenfalls Ärztin in der Colonia Dignidad, habe ihr Geisteskrankheit attestiert.

Noch schlimmer als die äußere Gefangenschaft ist die innere Isolation,die völlige Abhängigkeit von Schäfer, berichtet ihr Ehemann Georg Packmoor. Beide sind 1985 endgültig geflohen und extra aus Kanada zur Ausschußsitzung angereist. Ein- und ausgehende Post würde kontrolliert. In allen Zimmern habe man Lautsprecher und Mikrophone installiert. Pro Woche gebe es einen politischen Vortrag über den Terrorismus, der rundum auf der Welt herrsche.

Als der „Hauptangeklagte“ schließlich das Wort ergriff, hätte man im Saal eine Nadel fallen hören. Doch Dr. Hartmut Hopp ging mit keinem Wort auf die konkreten Vorwürfe ein, und verlas stattdessen ein langes Papier über die Geschichte der Siedlung, die Opfer, die diese Menschen bei ihrer Jugendarbeit in Deutschland und dann bei ihrer Aufbauarbeit in Chile erbracht hätten, alles auf der Basis völliger Freiwilligkeit, wie die zahlreichen eidesstattlichen Erklärungen von Mitgliedern der Colonia Dignidad beweisen würden. Stacheldrahtzäune gebe es nicht, wohl aber normale Zäune, damit streunende Rinder und Pferde nicht die Saat auf dem Gut zerträten.

Da wird es dem Wolfgang Kneese dann doch zu bunt. „Ich protestiere dagegen, daß ich mir diesen ganzen Unsinn hier anhören muß“, unterbricht er die Lektüre Hopps. „Aber hier dürfen Sie nicht protestieren...“ Kneese verläßt den Saal. Schließlich wird der abgelesene Vortrag auch Vogel zu lang und er erteilt Günter Bohnau das Wort.

Dieser faßt sich kurz. Er verliest einen herausgeschmuggelten Brief seines Vaters von 1968: „...Wir werden hie sehr schlecht behandelt. Die Kinder werden auch furchtbar geschlagen, und wem das nicht paßt und wer hier nicht bleiben will, wird hier bewacht. Die Mama war auch schon ein Jahr und zehn Monate eingesperrt... Sie ist auch fast nur noch Haut und Knochen, bitte helft uns doch hier noch einmal raus.“

Nach dem früheren Generalsekretär der bundesdeutschen Sektion von „amnesty international“ und dem Journalisten Gero Gamballa, dessen Buch über die Colonia Dignidad in den nächsten Wochen auf den Markt kommen wird, ergriffen zwei Mitglieder der CSU das Wort: der Münchner Stadtrat Wolfgang Vogelsgesang und der Würzburger Soziologie- Professor Bossle. Beide hatten sich früher mehrfach positiv über die Siedlung geäußert und distanzierten sich nun von Paul Schäfers Terrorsystem. Dessen Vertreter Hartmut Hopp weigerte sich im übrigen stereotyp, Fragen des Ausschusses zu beantworten. „Ich gebe hier keine Antwort“, wiederholte er immer wieder. Nur einmal ließ er sich doch dazu herab. Er bekräftigte, daß die Siedlung nicht bereit sei, eventuellen künftigen Untersuchungskommissionen den Zutritt vor Ort zu gestatten.

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