: An zwei Liebhaber der Wahrheit
Mit einem Lessing-Zitat über den „geraden Weg zur Wahrheit“ und den „verfeinerten Irrtum“, der uns „auf ewig von ihr entfernt“ hält, haben Ronald Fritzsch und Ralf Reinders auf die Dialog- Kampagne der Grünen und einen Vorschlag von Martin Walser, Ernst Käsemann und mir geantwortet. Immerhin. Euer Fazit: Es geht dabei um nichts anderes als um eine „Verfassungsschutzkampagne gegen radikale Linke“.
Ich weiß, die Dimensionen zwischen uns sind nicht überbrückbar, weder durch Wahrheitsliebe, noch durch Buttersäure. Ich setze sie also voraus und behellige Euch nicht weiter mit unseren Motiven und guten Absichten – den lauernden Irrtum eingeschlossen. Mit der mir eigenen Sturheit versuche ich nur, Euch in Eure eigenen Interessen zu verwickeln – soweit ich sie verstehe.
1. Wir fordern keine „Amnestie“ für Aussteiger. Die ist ja auch gar nicht nötig. Notwendig ist nur, daß für sie endlich ausgeschöpft wird, was rechtlich längst möglich ist und nur aus mangelnder Zivilcourage und mit Rücksicht auf Volkes Meinung von Politikern und Juristen nicht getan wird: Entlassung bei Zeitstrafen nach der Hälfte der Zeit, bei Lebenslänglichen nach 15 Jahren (und keinen Tag länger). Und zwar ohne die Forderung nach öffentlichen Abschwörformeln und Unterwerfungsritualen! Außerdem habe ich nichts gegen die konsequente Anwendung des Begnadigungsrechts – auch früher –, wenn die Politik damit die mangelnde Entlassungsbereitschaft der Geschichte korrigiert. Ich halte inzwischen die Forderung „Amnestie für Aussteiger“ sogar für bedenklich, da sie einen gefährlichen Trugschluß nahelegen könnte: den kleinen Kreislauf der guten Menschen. Die „guten“ Politiker zeigten sich da – unter Ausblendung ihrer eigenen Fehler – gönnerhaft gegenüber den „guten“ Terroristen und stoßen damit die „schlechten“ Terroristen nur tiefer in die Haft hinein. Die notwendige öffentliche Debatte über die Ursachen des Terrorismus, den Deutschen Herbst, die Haftbedingungen etc. blieben dann außen vor der Tür, wo sie nicht bleiben dürfen.
2. Wir vertreten dagegen eine ganze Reihe von Forderungen, die für alle ohne Vorbedingung zu stellen sind – übrigens nicht nur für Euch, sondern auch für alle sozialen Gefangenen:
– Aufhebung aller Sonderhaftbedingungen und Auflösung aller Hochsicherheitstrakte,
– Entlassung aller Haftunfähigen,
– Verzicht auf öffentliche Distanzierungserklärungen,
– Dialogmöglichkeiten für Mitglieder von RAF und 2.Juni untereinander und mit politischen Gesprächspartnern von außen,
– Aufhebung aller Sondergesetze (Einschränkung der Verteidigerrechte, Trennscheibe, Kontaktsperre etc.).
3. Wir sind ausdrücklich nicht der Meinung, daß der Verfassungsschutz irgendetwas Positives zur Lösung des Problems beitragen kann, auch nicht durch Angebote an untergetauchte Illegale. Eine politische Lösung im Jahre 1988 kann nicht im Geheimen und mit Geheimdienstlern vorangetrieben werden. Sie muß auf dem offenen Tisch der Republik ausgehandelt werden.
4. Wir schlagen einen gesellschaft lichen Dialog mit den Inhaftierten vor, eben das, wovon Herr Rebmann sagt: das geht gar nicht. Also müssen die gesellschaftlichen Gruppen diesen Dialog führen, die ihn überhaupt für möglich und notwendig halten. Von außen diejenigen, die immer noch oder endlich begreifen, daß Ihr und Eure Geschichte uns etwas angeht – von Euch diejenigen, die akzeptieren, daß ein offener Dialog – ohne jede Vorbedingung – wenigstens die Chance einer Bewegung offenläßt, wo sich die letzten zehn Jahre nichts bewegt hat. Dabei setze ich voraus, daß Ihr vor allem untereinander viel zu diskutieren habt und auch, daß Ihr den von außen Dazukommenden Einiges mitteilen wollt.
Ihr nennt unser Dialog-Angebot ein „alternatives Gehirnwäscheprogramm“, und ich bin nicht so ignorant, nicht zu hören, was Ihr befürchtet – Aber was habt Ihr zu verlieren? Unser Vorschlag enthält faire Bedingungen, die Euch sowohl über die Gruppe der von außen Kommenden als auch über die Frage, worüber gesprochen wird, eine Mitentscheidung einräumt. Außerdem schlägt er vor, daß eine unabhängige Instanz (also nicht die staatlichen Stellen) die Organisation und Vorbereitung übernehmen soll. Und er rechnet in langen Zeiträumen und einem offenen Ende – insofern ist er wohl realistisch. Aber er geht zu recht davon aus, daß Ihr Bündnispartner braucht, wenn Ihr eines Tages – und hoffentlich geraden Rückens – durch diese magische Tür nach draußen wollt. Jedenfalls die Lebenslänglichen brauchen das – und das sind inzwischen die meisten von Euch. Natürlich verlangt unser Vorschlag Euch etwas ab: eine Auseinandersetzung nämlich mit politischen Gesprächspartnern, die teils oder ganz anderer Meinung sind als Ihr. Es könnte auch etwas passieren in diesem Dialogversuch (bei allen Beteiligten übrigens)... Damit allerdings muten wir Euch nur zu, was für jeden politischen Menschen immer ein Risiko, meistens aber ein Privileg ist: seine Meinung auch ändern zu können. Freunde und Verehrer Eurer unerschütterlichen Unerschütterlichkeit habt Ihr ja schon genug – in jedem Lager, aus den unterschiedlichsten Motiven.
Sollte unser Vorschlag verwirklicht werden, sehe ich auch, daß beide Seiten dieses (un)möglichen Dialogs nicht mit gleichen Voraussetzungen in die Debatte gehen würden. Wie sollte das unter den vorliegenden Bedingungen auch möglich sein? Aber ebenso bin ich schon lange davon ab, Euch nur als Opfer Eurer Situation zu sehen. Ihr ward immer mehr als das.
Ob Ihr die neue Qualität dieses Vorschlages versteht? Er will weg von den RAF-Hungerstreik- Elends-Kampagnen. Er will auch weg vom Einzel-Knastbesuch- Tourismus, sei es aus Freundschaft, sei es aus alter oder neuer Liebe zur Revolution, sei es aus humanitärem Pflichtgefühl. Er setzt darauf, daß nach 15 Jahren Wahnsinn immer noch Lösungen möglich sind, über die zu reden sich lohnt. Und er setzt auf Eure vielleicht ungebrochene, vielleicht auch verletzte Lust, zu leben. Daß Ihr dazu zu sagen pflegt: „Aber nicht um jeden Preis“, wissen wir wohl. Aber es muß ja auch nicht jeder Preis gezahlt werden. Antje Vollmer, Februar 1988
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