: I N T E R V I E W 70 Prozent wollen weniger arbeiten
■ Achim Vandreike, ÖTV–Kreisvorsitzender und Vorsitzender des Gesamtpersonalrats Frankfurt
taz: Sie haben eine Umfrage zur Arbeitszeitverkürzung in Frankfurt gemacht. Wollen die Beschäftigten der Stadt Frankfurt die 35–Stunden–Woche? Achim Vandreike: Wir haben 30.000 Fragebogen und 11.000 Antworten bekommen. Von den 11.000 Antworten haben sich 70 Prozent für Wochenarbeitszeitverkürzung ausgesprochen. Ist die Umfrage repräsentativ für die Beschäftigten? Wir halten sie für repräsentativ, weil wir nicht nur ÖTV–Mitglieder, sondern auch Nichtmitglieder befragt haben. Etwa die Hälfte der Antworten waren von Mitgliedern, die andere Hälfte von Nichtmitgliedern. Gibt es da Unterschiede? Es gibt praktisch keine Unterschiede in bezug auf die 35–Stunden–Woche und auch dazu, wie sie dann umgesetzt werden soll. Wo ist die Zustimmung am größten, wo am kleinsten? Die Zustimmung ist im Angestelltenbereich und bei den Beschäftigtengruppen bis zu 50 Jahren am größten. Im Arbeiterbereich und bei den Kolleginnen und Kollegen über 50 gibt es eine mit steigendem Alter zunehmende Tendenz zur Lebensarbeitszeitverkürzung. Es haben sich 30 Prozent der Befragten für Lebensarbeitszeitverkürzungen ausgesprochen. Aber von diesen 30 Prozent war nur ein Drittel bereit, damit auch gewisse Einbußen bei der Rente zu akzeptieren. Wollen denn die Leute die Wochenarbeitszeitverkürzung, obwohl es dadurch vielleicht etwas weniger Lohn gibt? Das war jetzt in den Streikversammlungen, die ich während der Aktionstage besucht habe, überhaupt kein Diskussionspunkt. Es hat mich überrascht, wie gut die Stimmung zur Wochenarbeitszeitverkürzung gewesen ist und zwar auch in den Arbeiterbetrieben. Obwohl durch die Koppelung von Arbeitszeitverkürzungen und Lohnsteigerungen das eine nur auf Kosten des anderen zunehmen kann? Wir haben das im Vorfeld der Tarifrunde ausführlich diskutiert, da es einen Zusammenhang zwischen Lohnerhöhung und Wochenarbeitszeitverkürzung gibt. Das wird offensichtlich akzeptiert. Was geht aus der Umfrage in bezug auf die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung hervor? Alle Varianten wurden in fast gleicher Zahl bevorzugt, also tägliche Arbeitszeitverkürzung, früherer Wochenschluß oder Bündelung zu freien Tagen. Je nach Lebensmodell gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. Von denen, die sich für Wochenarbeitszeitverkürzung ausgesprochen haben, haben sich 25 Prozent gewünscht, daß es eine tägliche Arbeitszeitverkürzung gibt. 35 Prozent wollen an einem Tag in der Woche, zum Beispiel Freitag nachmittag, früher Schluß machen und 40 Prozent favorisieren die freien Tage. Zwischen Frauen und Männern sind dabei die Unterschiede nicht so riesig. 30,5 Prozent der Frauen waren für tägliche Arbeitszeitverkürzung, 37 Prozent für Arbeitszeitverkürzung an einem Tag in der Woche und 32,5 Prozent für freie Tage. Wie ist ihr Eindruck von den Streikversammlungen? Überraschend gut. Es gab in keiner einzigen Streikversammlung hier in Frankfurt größere Probleme. Die Leute haben mitgemacht. Und wir werden nächste Woche unbefristet streiken. Interview: Martin Kempe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen