: Der letzte Poker um die Macht in Kabul
■ In Genf beginnen heute die Verhandlungen über den sowjetischen Abzug aus Afghanistan
Geht es nach dem Willen von USA und UdSSR, wird die heute in Genf beginnende afghanisch–pakistanische Verhandlungsrunde endgültig dem Abzug aller sowjetischen Truppen den Weg ebnen. Zehntausende Tote, fünf Millionen Flüchtlinge und die Verwüstung ganzer Landstriche - das ist die bisherige Bilanz des Konfliktes.
In indirekten Gesprächen unter Vermittlung des stellvertretenden UNO–Generalsekretärs Diego Cordovez bemühen sich die beiden hauptbetroffenen Länder bereits seit Juni 1982 um eine Beendigung des Krieges am Kyberpaß. Doch erst jetzt paßt eine politische Lösung in die Interessenlage der beiden Großmächte. Für die UdSSR ist der außen– wie innenpolitische Preis inzwischen zu hoch, nachdem die afghanischen Mudjaheddin gezeigt haben, daß die sowjetischen Truppen den Krieg ebensowenig für sich entscheiden können wie die USA seinerzeit den Vietnamkrieg. Und Präsident Reagan möchte den Abzug der sowjetischen Truppen noch als Erfolg seiner Amtszeit verbuchen. Beide Großmächte eint offenbar die Sorge, daß ein Andauern des Krieges den islamischen Einfluß in der Region verstärken könnte. Insbesondere die zwei Millionen Flüchtlinge in iranischen Lagern gelten als Rekrutierungsmasse für die dortigen Fundamentalisten. So wurde in Washington und Moskau in den letzten Wochen der politische und zeitliche Rahmen für eine Lösung festgelegt. Den Genfer Verhandlungsdelegationen unter Pakistans Staatsminister für auswärtige Angelegenheiten, Zain Noorani und Afghanistans Außenminister Abdul Wakil bleibt nur noch die Klärung von Details der vier vorgesehenen Einzelabkommen überlassen. Das erste Abkommen verpflichtet die beiden Nachbarstaaten zum gegenseitigen „Verzicht auf Intervention und Einmischung“ in innere Angelegenheiten. Darunter fällt auch die weitgehend über pakistanisches Territorium laufende militärische Unterstützung der USA für die afghanischen Widerständler. Dieses Abkommen ist nach Aussage von Cordovez Mitte Februar in Islamabad ebenso „unterschriftsreif“ wie das Vertragswerk über die „freiwillige“ Rückkehr der Flüchtlinge, von denen sich drei Millionen in Pakistan aufhalten. Ein drittes Dokument regelt die „Internationalen Garantien“ für die Akommen zwischen Pakistan und Afghanistan. Es soll von den USA und der UdSSR unterzeichnet werden. Dagegen hat die Vereinbarung über den Abzug fremder Truppen, der wichtigste Bestandteil des Pakets, nach Worten von Cordovez noch „weiße Flecken“. Ein wesentliches Problem ist überwunden, nachdem sich die UdSSR bereit erklärt hat, den Großteil ihrer Truppen bereits im ersten Teil der zehnmonatigen Abzugsphase nach Hause zu bringen. Eine zusätzliche Hürde für eine rasche Einigung hat Pakistan in der letzten Woche errichtet. Es will ein Abkommen über den Rückzug der rund 115.000 Mann starken sowjetischen Truppen erst nach Bildung einer neuen Regierung in Kabul unter maßgeblicher Beteiligung der Gegner des derzeitigen Regierungschefs Najibullah unterzeichnen.Dieser Vorbedingung, die von Moskau und Kabul entschieden abgelehnt wird, werden in Genf gegenwärtig allerdings kaum Chancen eingeräumt. Weil auch die USA diese Forderung Pakistans bislang nicht unterstützen, werfen die in der „Islamischen Allianz afghanischer Kämpfer“ zusammengeschlossenen sieben Widerstandsorganisationen Washington Verrat vor. Rückendeckung gab den Mudjaheddin allerdings gestern der US– Senat: Ohne Gegenstimmen hat er am Montag Präsident Reagan aufgefordert, die Guerilla so lange weiter mit Waffen zu unterstützen, bis alle sowjetischen Soldaten aus Afghanistan abgezogen sind. Nach Vorstellung der Allianz soll eine „Übergangsregierung“ aus einem 28köpfigen Kabinett mit 14 Vertretern der Mudjaheddin, sieben unbelasteten Mitgliedern der derzeitigen Regierung in Kabul sowie sieben Repräsentanten aus den Reihen der Flüchtlinge bestehen. Ein ausschließlich von der Allianz besetzter siebenköpfiger „Oberster Rat“ soll die eigentliche Regierungsgewalt ausüben. Doch es sieht so aus, als wollten die USA die Möglichkeit eines baldigen sowjetischen Truppenrückzuges nicht an dieser Forderung ihrer bisherigen Bündnispartner scheitern lassen. Allianz chef Mohammed Yunis Khalis äußerte den Verdacht, daß Reagan und Gorbatschow bereits bei ihrem Dezembergipfel eine „Geheimabsprache“ über eine Lösung des Afghanistan–Problems getroffen hätten. Nach Gorbatschows Afghanistan–Erklärung am 8.Februar sei die US–Militärhilfe an die Widerstandsgruppen erheblich zurückgegangen, klagen sie. Damals hatte Gorbatschow den Beginn des Truppenabzuges ab 15.Mai in Aussicht gestellt, falls bis zum 15.März in Genf ein Abkommen über die Einstellung jeglicher militärischer Hilfe unterschrieben sei. Warum Gorbatschow den 15.Mai genannt hat, und ob eine Einigung bis zu diesem Datum Vorbedingung für den angebotenen Truppenabzug ist, darüber wird in Genf zunehmend spekuliert, zumal der 15.März nach Pakistans neuer Forderung unrealistisch erscheint. Wollte Gorbatschow Druck auf die Kabuler Regierung ausüben? Oder will er für das nun voraussichtlich in der letzten Maiwoche stattfindende Moskauer Gipfeltreffen mit Reagan und einen dort eventuell zu unterzeichnenden START–Vertrag ein günstiges Klima herstellen? Die Vermutung, daß die Fristsetzung 15. März nicht unumstößlich ist, nährte der Vorsitzende der - von Najibullah eingesetzten - „Nationalen Versöhnungskommission“ Afghanistans, Abdul Rahim Hates. Bei seinem Genfer Auftritt im Februar erklärte er,der 15.Mai sei „irrelevant“. Wenn die Genfer Verhandlungen erst später abgeschlossen werden, „verschiebt sich der Beginn des Truppenabzuges um denselben Zeitraum nach hinten“. Andreas Zumach
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