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Tokio mehr wert als gesamter USA–Boden

■ Astronomische Grundstücks– und Mietpreise in Japan / Regierung hilflos

Tokio(dpa/vwd) - Die offiziellen Steigerungsraten der Grundstückspreise in Tokio für 1987 sind noch nicht bekanntgegeben worden, aber nach den weitgehend übereinstimmenden Erfahrungsberichten der großen Maklerfirmen scheint jetzt festzustehen, daß es im Durchschnitt runde hundert Prozent waren. Eine Fernsehstation in der Hauptstadt hatte bereits Ende letzten Jahres errechnet, daß die Grundstücke im Raum Tokio inzwischen mehr Wert sind als der gesamte Boden in den USA einschließlich solcher Hochpreis–Zentren wie New York. Die Spekulation hat ein solches Tempo angenommen und solche Ausmaße erreicht, daß die Regierung ganz offensichtlich hilflos ist. Der jetzige Ministerpräsident Noboru Takeshita hatte im vergangenen Herbst, als er das höchste Regierungsamt anstrebte, den Kampf gegen die Grundstücksspekulation als ersten Schwerpunkt seiner Arbeit genannt: Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im November wollte er das Parlament zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen und sein Programm unterbreiten. Als sich bei der Formulierung dieses Programms herausstellte, wie komplex das Thema ist, wurde der Februar als neues Datum für die Regierungsinitiative genannt. Der Februar ist inzwischen vergangen und von einem neuen Zeitpunkt ist nicht mehr die Rede. Hohe Beamte aus den zuständigen Ministerien lassen sich auf Spekulationen über einen Zeitplan nicht ein, sondern erläutern in Hintergrundgesprächen allenfalls ihre Probleme. Der Plan, bei Wiederverkäufen von Grundstücken nach relativ kurzer Besitzdauer 90 Prozent des Spekulationsgewinns wegzusteuern, ist fallengelassen worden. Vermutlich würde dann viel weniger Land verkauft, das Angebot würde noch deutlicher als jetzt unter der Nachfrage liegen, und die Preise würden noch rascher steigen. Eine ebenfalls in Erwägung gezogene fühlbare Erhöhung der Grundstückssteuer scheint undurchführbar zu sein, da viele private Hausbesitzer schon jetzt nicht mehr in der Lage sind, sie aus ihrem Einkommen zu bestreiten. Sie müssen ihren Grundbesitz ebenso verkaufen wie die Erben eines Hauses, die sehr oft die Erbschaftssteuer nicht bezahlen können. Obwohl die Wohnungsmieten in Tokio astronomisch sind - eine Vierzimmerwohnung westlichen Standards mit 100 Quadratmetern wird kaum noch unter einer Million Yen (12 500 Mark) im Monat angeboten, gehen Renditeberechnungen für Grundstücke kaum noch auf. Reiche Privatleute, die sich am Grundstücksmarkt tummeln, tun das in aller Regel nicht, um einen Büroturm oder einen Wohnblock daraufzubauen und das eingesetzte Kapital über die Miete zu verzinsen. Sie setzen stattdessen fast ausschließlich darauf, innerhalb weniger Jahre, Monate oder Wochen durch einen Wiederverkauf riesige Summen zu verdienen. Die großen Konzerne des Landes dagegen erwerben Land in teuren City–Lagen auf Dauer und können dann in Ruhe verfolgen, wie der Wert ihrer Anlage Jahr für Jahr steigt. Das Schlagwort für solche Transaktionen heißt allgemein „Zai–Tech“ (Spiel mit Geld) und hat manchem großen Unternehmen in den letzten Jahren wesentlich mehr eingebracht als die Produktion von Autos oder Computern. Dazu kommen die institutionellen Anleger, vor allem Banken, Versicherungen und Wertpapierhäuser. Die durchschnittlichen Haushaltsersparnisse in Japan liegen inzwischen bei mehr als acht Millionen Yen (100 000 Mark) und summieren sich dort, wo sie hingetragen werden, zu riesigen Finanzmassen. Sie vermehren sich nirgends so schnell wie bei einer Anlage auf dem Grundstücksmarkt. Die schlimme Kehrseite der Medaille ist, daß immer mehr Japaner auf dem Papier immer reicher werden, daß sie aber den Lebensstil armer Leute haben: sie mieten ihre Wohnungen weit weg vom Arbeitsplatz in den Vororten, verbringen deshalb oft täglich vier und mehr Stunden auf dem Arbeitsweg und leben trotzdem mit ihren Familien in fürchterlicher Enge. Ein Ausweg ist nicht zu sehen: ein Quadratmeter in einer Eigentumswohnung kann durchaus das Jahresgehalt eines Durchschnittsverdieners kosten. Zwei „Tsubo“ (3,3 Quadratmeter) Land, die kleinste kaufbare Grundstücksgröße, sind im Zentrum Tokios teurer als der Lebensverdienst eines Angestellten.

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