I N T E R V I E W „In Einsamkeit und Dummheit“

■ Dietrich Wetzel von den Bonner Grünen begründet, warum ihn die Initiative seiner Partei zu einer Nahost–Bundestagsdebatte ins Grübeln über den Austritt aus der Fraktion brachte / „Notwendige Debatte abgewürgt“

taz: Was hat dich an der Diskussion eurer Fraktion über eine zu initiierende Nah–Ost– Debatte im Bundestag so empört? Dietrich Wetzel: Diese absolute Blindheit gegenüber der Funktion der Grünen in diesem Bundestag und die Nichtbereitschaft, sich mit der Wirkung derartiger Entscheidungen auf Palästina überhaupt auseinanderzusetzen. Es ging darum, moralisch eine Position zu vertreten gegen die stattfindenden Menschenrechts– und Völkerrechtsverletzungen, aber sich keine Gedanken darüber zu machen, welche Wirkungen können und sollen in Israel erzielt werden, welche Wege sind da einzuschlagen. Wie verlief denn die Diskussion bei euch? Charakteristisch für den Diskussionsverlauf war, daß der Vorstand in Einsamkeit und Dummheit die Entscheidung für eine Aktuelle Stunde getroffen hatte und dann zwischen den Fraktionsgeschäftsführern ein Deal zustande kam, als Alternative zu dieser Aktuellen Stunde in der nächsten Woche eine Plenardebatte zu führen. Dabei ist eine unheilige Allianz zwischen Regierungsfraktionen und Grünen zustandegekommen. Du sollst mit deinem Fraktionsaustritt gedroht haben nach dieser Entscheidung. Ist das nicht ein bißchen überzogen? Ich denke über meinen Austritt nach, weil ich mir in einer grundlegenden Frage meiner persönlichen politischen Identität und in einer grundlegenden Frage, die schließlich einmal zu dieser ersten Nachkriegsparteigründung der Grünen geführt hat, alleinegelassen vorkomme, in dieser Fraktion, nicht bei den Grünen insgesamt. Ich beklage mich darüber, daß in dieser Fraktion eine in dieser Sache notwendige Debatte mit Blick auf die Uhr und die Feststellung, wir müssen eine Tagesordnung abhandeln, abgewürgt wurde. Muß man als Deutscher schweigen zu dem, was in Israel derzeit passiert? Warum kann man die Schwierigkeiten, gerade als Deutscher die israelische Repression gegenüber den Palästinsern zu kritisieren, nicht in einer großen Rede artikulieren? Aber doch wohl nicht im Bundestag, unisono mit Parteien, die das ihre dazu beigetragen haben, daß eine Kontinuität zwar gebrochen, aber in dieser Gebrochenheit nachweisbar zwischen Nationalsozialismus und Entstehung dieser Republik aufrechterhalten wurde, personell im Staatsapparat, in der Justiz, in der Bundeswehr. Ökonomisch in den Strukturen, ideologisch unter Zuhilfenahme wesentlicher Elemente nationalsozialistischer Propaganda, also Antikommunismus und Antibolschewismus sich verlängernd in die Gegenwart als systematisch auch staatlicherseits und von den Regierungsparteien betriebene Ausländerhetze, Entschädigungsgesetz. Ideologie der Wende, Gnade der späten Geburt.... mtm